(Kiel) Eine Rad­fah­re­rin, die beim Befah­ren eines Rad­we­ges ent­ge­gen der Fahrt­rich­tung mit einem war­te­pflich­ti­gen Pkw kol­li­diert, kann 1/3 ihres Scha­den selbst zu tra­gen haben. Dass sie kei­nen Schutz­helm getra­gen hat, erhöht — bei dem Unfall­ereig­nis aus dem Jah­res 2013 — ihren Eigen­haf­tungs­an­teil nicht.

Dar­auf ver­weist der Erlan­ger Fach­an­walt für Ver­kehrs­recht Mar­cus Fischer, Vize­prä­si­dent des VdVKA — Ver­band deut­scher Ver­kehrs­rechts­An­wäl­te e. V. mit Sitz in Kiel, unter Hin­weis auf die Mit­tei­lung des Ober­lan­des­ge­richts Hamm (OLG) vom 30.08.2017 zu sei­nem Urteil vom 04.08.2017 (Az. 9 U 173/16 OLG Hamm).

Die 1965 gebo­re­ne Klä­ge­rin aus Marl befuhr im Novem­ber 2013 mit ihrem Fahr­rad die Pol­su­mer Stra­ße in Marl auf einem links­sei­ti­gen Geh- und Rad­weg. Die­sem folg­te sie auch, als er nur noch für Rad­fah­rer aus der ent­ge­gen­ge­setz­ten Fahrt­rich­tung frei­ge­ge­ben war. Die Klä­ge­rin beab­sich­tig­te, die Ein­mün­dung der unter­ge­ord­ne­ten Stra­ße Im Breil zu que­ren, um dann nach links in die­se Stra­ße ein­zu­bie­gen. Der im Jah­re 1936 gebo­re­ne Beklag­te aus Gel­sen­kir­chen befuhr mit sei­nem Pkw Mer­ce­des die Stra­ße Im Breil und beab­sich­tig­te, an der Stra­ßen­ein­mün­dung nach rechts in die Pol­su­mer Stra­ße abzu­bie­gen. Beim Abbie­gen kol­li­dier­te sein Fahr­zeug mit dem Fahr­rad der Klä­ge­rin. Die Klä­ge­rin stürz­te auf die Motor­hau­be, rut­sche mit ihrem Rad über die Stra­ße und schlug mit dem unbe­helm­ten Kopf auf der Fahr­bahn auf. Mit einem ein Schä­del-Hirn-Trau­ma, einem Schä­del-Basis-Bruch und einer Knie­frak­tur erlitt sie schwers­te Verletzungen.

Von dem Beklag­ten und sei­nem Haft­pflicht­ver­si­che­rer ver­langt die Klä­ge­rin im vor­lie­gen­den Rechts­streit Scha­dens­er­satz, unter ande­rem ein Schmer­zens­geld i.H.v. 40.000 Euro, eine monat­li­che Schmer­zens­geld­ren­te von 300 Euro, mate­ri­el­len Scha­dens­er­satz von ca. 16.000 Euro sowie einen vier­tel­jähr­lich mit 252 Euro aus­zu­glei­chen­den Haushaltsführungsschaden.

Das Land­ge­richt hat zunächst den Grund der Haf­tung auf­ge­klärt und der Klä­ge­rin — unter Berück­sich­ti­gung eines Mit­ver­schul­dens — 80 % ihres Scha­dens zuge­spro­chen. Bei der Über­prü­fung die­ser Ent­schei­dung in der Beru­fungs­in­stanz hat der 9. Zivil­se­nat des Ober­lan­des­ge­richts Hamm das Mit­ver­schul­den der Klä­ge­rin mit 1/3 bewertet.

Der Beklag­te habe, so der Senat, den Unfall in erheb­li­chem Umfang ver­schul­det, auch wenn er zunächst im Ein­mün­dungs­be­reich ange­hal­ten habe und dann lang­sam abge­bo­gen sei. Gegen­über der Klä­ge­rin sei er war­te­pflich­tig gewe­sen. Die Klä­ge­rin habe ihr Vor­fahrts­recht nicht dadurch ver­lo­ren, dass sie den kom­bi­nier­ten Geh- und Rad­weg ent­ge­gen der Fahrt­rich­tung befah­ren habe, obwohl die­ser für eine Nut­zung in ihrer Fahrt­rich­tung nicht mehr frei­ge­ge­ben gewe­sen sei. Ein Rad­fah­rer behal­te sein Vor­recht gegen­über kreu­zen­den und ein­bie­gen­den Fahr­zeu­gen auch dann, wenn er ver­bots­wid­rig den lin­ken von zwei vor­han­de­nen Rad­we­gen nutze.

Die Klä­ge­rin ihrer­seits habe den Unfall mit­ver­schul­det, weil sie mit ihrem Fahr­rad den an der Unfall­stel­le vor­han­de­nen Geh- und Rad­weg ent­ge­gen der frei­ge­ge­be­nen Fahrt­rich­tung befah­ren habe. Dass die Klä­ge­rin auf dem für ihre Fahrt­rich­tung nicht frei­ge­ge­be­nen Weg erst weni­ge Meter zurück­ge­legt habe, ent­las­te sie nicht. Sie habe sich ver­bots­wid­rig auf dem Rad­weg befun­den, den sie rich­ti­ger­wei­se nur noch — ihr Fahr­rad schie­bend — als Fuß­gän­ge­rin hät­te benut­zen dürfen.

Dem­ge­gen­über recht­fer­ti­ge das Nicht­tra­gen eines Schutz­helms kei­ne Anspruchs­kür­zung zulas­ten der Klä­ge­rin. Zur Unfall­zeit im Jah­re 2013 habe kei­ne gesetz­li­che Helm­pflicht für Rad­fah­rer bestan­den. Das Tra­gen von Fahr­rad­hel­men habe zudem nicht dem all­ge­mei­nen Ver­kehrs­be­wusst­sein ent­spro­chen, was der Bun­des­ge­richts­hof noch im Jah­re 2014, bezo­gen auf einen Unfall aus dem Jah­re 2011, fest­ge­stellt habe. Anhalts­punk­te dafür, dass sich das Ver­kehrs­be­wusst­sein inso­weit in den Jah­ren danach ver­än­dert habe, habe der Senat nicht.

Der Mit­ver­schul­dens­an­teil der Klä­ge­rin sei mit 1/3 zu bewer­ten. Dabei sei zu berück­sich­ti­gen, dass das der Klä­ge­rin nach wie vor zuste­hen­de Vor­fahrts­recht kein Ver­trau­en ihrer­seits in ein ver­kehrs­ge­rech­tes Ver­hal­ten des Beklag­ten habe begrün­den kön­nen. Auch wenn der Beklag­te mit sei­nem Fahr­zeug zunächst vor dem que­ren­den Geh- und Rad­weg ange­hal­ten habe, habe die ver­kehrs­wid­rig fah­ren­de Klä­ge­rin ohne wei­te­re Anhalts­punk­te nicht davon aus­ge­hen dür­fen, dass der Beklag­te sie wahr­ge­nom­men habe und ihr den Vor­gang ein­räu­men würde.

Hin­weis der Pres­se­stel­le des OLG:

Der 9. Zivil­se­nat des Ober­lan­des­ge­richts Hamm hat auf das Urteil des Bun­des­ge­richts­ho­fes vom 17.06.2014 (Az. VI ZR 281/13) Bezug genom­men. Nach der Ent­schei­dung des Bun­des­ge­richts­ho­fes ist der Scha­dens­er­satz­an­spruch eines Rad­fah­rers, der im Stra­ßen­ver­kehr bei einem Ver­kehrs­un­fall Kopf­ver­let­zun­gen erlit­ten hat, die durch das Tra­gen eines Schutz­helms zwar nicht ver­hin­dert, wohl aber hät­ten gemil­dert wer­den kön­nen, jeden­falls bei Unfall­ereig­nis­sen bis zum Jahr 2011 grund­sätz­lich nicht wegen Mit­ver­schul­dens gemindert.

Fischer riet, dies zu beach­ten und in allen Zwei­fels­fäl­len unbe­dingt recht­li­chen Rat in Anspruch zu neh­men, wobei er dabei u. a. auch auf den VdVKA — Ver­band deut­scher Ver­kehrs­rechts­an­wäl­te e. V. – www.vdvka.de — verwies.

 

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