(Kiel) Der Käu­fer eines Kraft­fahr­zeugs mit einer unzu­läs­si­gen Abschalt­ein­rich­tung hat gegen den Fahr­zeug­her­stel­ler einen Anspruch auf Scha­dens­er­satz, wenn dem Käu­fer durch die­se Abschalt­ein­rich­tung ein Scha­den ent­stan­den ist.

Neben all­ge­mei­nen Rechts­gü­tern schützt das Uni­ons­recht auch die Ein­zel­in­ter­es­sen des indi­vi­du­el­len Käu­fers eines Kraft­fahr­zeugs gegen­über des­sen Her­stel­ler, wenn die­ses Fahr­zeug mit einer unzu­läs­si­gen Abschalt­ein­rich­tung aus­ge­stat­tet ist.

Dar­auf ver­weist der Nürn­ber­ger Rechts­an­walt und Fach­an­walt für Ver­kehrs­recht Oli­ver Fou­quet, Lei­ter des Fach­aus­schus­ses „Werkstatt/Reparatur/Mängelbeseitigung“ des VdVKA — Ver­band deut­scher Ver­kehrs­rechts­An­wäl­te e. V. mit Sitz in Kiel unter Hin­weis auf die Pres­se­mit­tei­lung Nr. 51/23 des Gerichts­hofs der Europ. Uni­on (EuGH) vom 21.03.2023 in der Rechts­sa­che C‑100/21 | Mer­ce­des-Benz Group (Haf­tung der Her­stel­ler von Fahr­zeu­gen mit Abschalteinrichtungen).

Das Land­ge­richt Ravens­burg (Deutsch­land) ist mit der Scha­dens­er­satz­kla­ge einer Pri­vat­per­son (QB) gegen Mer­ce­des-Benz Group befasst. Die­se Kla­ge ist auf den Ersatz des Scha­dens gerich­tet, den Mer­ce­des-Benz Group dadurch ver­ur­sacht haben soll, dass sie das von QB erwor­be­ne Die­sel­kraft­fahr­zeug mit einer Soft­ware aus­ge­rüs­tet habe, mit der die Abgas­rück­füh­rung ver­rin­gert wird, wenn die Außen­tem­pe­ra­tu­ren unter einem bestimm­ten Schwel­len­wert lie­gen. Eine sol­che Abschalt­ein­rich­tung, die höhe­re Stick­stoff­oxid (NOx) Emis­sio­nen zur Fol­ge habe, sei nach der Ver­ord­nung Nr. 715/2007 über die Typ­ge­neh­mi­gung von Kraft­fahr­zeu­gen hin­sicht­lich der Emis­sio­nen von leich­ten Per­so­nen­kraft­wa­gen und Nutz­fahr­zeu­gen verboten.

Im deut­schen Recht kann bei ein­fa­cher Fahr­läs­sig­keit ein Scha­dens­er­satz­an­spruch gege­ben sein, wenn gegen ein den Schutz eines ande­ren bezwe­cken­des Gesetz ver­sto­ßen wurde.

Daher fragt das deut­sche Gericht den Gerichts­hof, ob die maß­geb­li­chen Bestim­mun­gen der Richt­li­nie 2007/46 zur Schaf­fung eines Rah­mens für die Geneh­mi­gung von Kraft­fahr­zeu­gen (im Fol­gen­den: Rah­men­richt­li­nie) in Ver­bin­dung mit der Ver­ord­nung Nr. 715/2007 dahin aus­zu­le­gen sind, dass sie die Ein­zel­in­ter­es­sen eines indi­vi­du­el­len Käu­fers eines sol­chen Fahr­zeugs schüt­zen. Was die Berech­nung des QB even­tu­ell geschul­de­ten Scha­dens­er­sat­zes betrifft, möch­te das Land­ge­richt Ravens­burg außer­dem wis­sen, ob es für die prak­ti­sche Wirk­sam­keit des Uni­ons­rechts erfor­der­lich ist, dass eine Anrech­nung von Nut­zungs­vor­tei­len auf die­sen Scha­dens­er­satz­an­spruch unter­bleibt oder nur in ein­ge­schränk­tem Umfang erfolgt.

In sei­nem Urteil erläu­tert der Gerichts­hof zunächst, dass es Sache des deut­schen Gerichts ist, die Tat­sa­chen­fest­stel­lun­gen zu tref­fen, die für die Fest­stel­lung erfor­der­lich sind, ob die in Rede ste­hen­de Soft­ware als Abschalt­ein­rich­tung im Sin­ne der Ver­ord­nung Nr. 715/2007 ein­zu­stu­fen ist und ob ihre Ver­wen­dung gemäß einer der Aus­nah­men gerecht­fer­tigt wer­den kann, die die­se Ver­ord­nung vorsieht.

Was die Rechts­gü­ter betrifft, die neben dem all­ge­mei­nen Ziel, ein hohes Umwelt­schutz­ni­veau sicher­zu­stel­len, durch die Ver­ord­nung Nr. 715/2007 geschützt wer­den, berück­sich­tigt der Gerichts­hof den wei­te­ren Rege­lungs­rah­men für die Geneh­mi­gung von Kraft­fahr­zeu­gen inner­halb der Uni­on, in den sich die­se Ver­ord­nung ein­fügt. In die­sem Zusam­men­hang weist er dar­auf hin, dass Fahr­zeu­ge gemäß der Rah­men­richt­li­nie einer EG-Typ­ge­neh­mi­gung bedür­fen, die nur erteilt wer­den kann, wenn der Fahr­zeug­typ den Bestim­mun­gen der Ver­ord­nung Nr. 715/2007, ins­be­son­de­re denen über Emis­sio­nen, ent­spricht. Dar­über hin­aus sind die Fahr­zeug­her­stel­ler nach der  Rah­men­richt­li­nie ver­pflich­tet, dem indi­vi­du­el­len Käu­fer eine Über­ein­stim­mungs­be­schei­ni­gung aus­zu­hän­di­gen. Mit die­sem Doku­ment, das u. a. für die Inbe­trieb­nah­me eines Fahr­zeugs vor­ge­schrie­ben ist, wird bestä­tigt, dass die­ses Fahr­zeug zum Zeit­punkt sei­ner Her­stel­lung allen Rechts­ak­ten ent­spricht. Durch die Über­ein­stim­mungs­be­schei­ni­gung lässt sich somit ein indi­vi­du­el­ler Käu­fer eines Fahr­zeugs davor schüt­zen, dass der Her­stel­ler gegen sei­ne Pflicht ver­stößt, mit der Ver­ord­nung Nr. 715/2007 im Ein­klang mit ste­hen­de Fahr­zeu­ge auf den Markt zu bringen.

Die­se Erwä­gun­gen füh­ren den Gerichts­hof zu dem Schluss, dass die Rah­men­richt­li­nie eine unmit­tel­ba­re Ver­bin­dung zwi­schen dem Auto­mo­bil­her­stel­ler und dem indi­vi­du­el­len Käu­fer eines Kraft­fahr­zeugs her­stellt, mit der die­sem gewähr­leis­tet wer­den soll, dass das Fahr­zeug mit den maß­geb­li­chen Rechts­vor­schrif­ten der Uni­on über­ein­stimmt. Dem­entspre­chend schüt­zen nach Auf­fas­sung des Gerichts­hofs die Bestim­mun­gen der Rah­men­richt­li­nie in Ver­bin­dung mit denen der Ver­ord­nung Nr. 715/2007 neben all­ge­mei­nen Rechts­gü­tern die Ein­zel­in­ter­es­sen des indi­vi­du­el­len Käu­fers eines Kraft­fahr­zeugs gegen­über des­sen Her­stel­ler, wenn die­ses Fahr­zeug mit einer unzu­läs­si­gen Abschalt­ein­rich­tung aus­ge­stat­tet ist. Die Mit­glied­staa­ten müs­sen daher vor­se­hen, dass der Käu­fer eines sol­chen Fahr­zeugs gegen den Her­stel­ler die­ses Fahr­zeugs einen Anspruch auf Scha­dens­er­satz hat.

In Erman­ge­lung uni­ons­recht­li­cher Vor­schrif­ten über die Moda­li­tä­ten für die Erlan­gung eines Scha­dens­er­sat­zes durch die betref­fen­den Käu­fer wegen des Erwerbs eines mit einer unzu­läs­si­gen Abschalt­ein­rich­tung aus­ge­rüs­te­ten Fahr­zeugs ist es Sache jedes ein­zel­nen Mit­glied­staats, die­se Moda­li­tä­ten fest­zu­le­gen. Der Gerichts­hof weist aller­dings dar­auf hin, dass die natio­na­len Rechts­vor­schrif­ten es nicht prak­tisch unmög­lich machen oder über­mä­ßig erschwe­ren dür­fen, für den dem Käu­fer ent­stan­de­nen Scha­den einen ange­mes­se­nen Ersatz zu erhalten.

Es kann auch vor­ge­se­hen wer­den, dass die natio­na­len Gerich­te dafür Sor­ge tra­gen, dass der Schutz der uni­ons­recht­lich gewähr­leis­te­ten Rech­te nicht zu einer unge­recht­fer­tig­ten Berei­che­rung der Anspruchs­be­rech­tig­ten führt. Im vor­lie­gen­den Fall wird das Land­ge­richt Ravens­burg zu prü­fen haben, ob die Anrech­nung des Nut­zungs­vor­teils für die tat­säch­li­che Nut­zung des in Rede ste­hen­den Fahr­zeugs durch QB die­sem eine ange­mes­se­ne Ent­schä­di­gung für den Scha­den gewähr­leis­tet, der ihm tat­säch­lich durch den Ein­bau einer nach dem Uni­ons­recht unzu­läs­si­gen Abschalt­ein­rich­tung in sein Fahr­zeug ent­stan­den sein soll.

Fou­quet riet, dies zu beach­ten und in allen Die­sel­fäl­len unbe­dingt recht­li­chen Rat in Anspruch zu neh­men, wobei er dabei u. a. auch auf den VdVKA — Ver­band deut­scher Ver­kehrs­rechts­an­wäl­te e. V. – www.vdvka.de — verwies.

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