(Kiel) Bei Kin­dern bestimmt sich das Maß der gebo­te­nen Auf­sicht nach Alter, Eigen­art und Cha­rak­ter, ins­ge­samt danach, was ver­stän­di­ge Eltern ver­nünf­ti­ger­wei­se in der kon­kre­ten Situa­ti­on an erfor­der­li­chen und zumut­ba­ren Maß­nah­men tref­fen müs­sen. Die Auf­sichts­pflicht kann nicht dahin­ge­hend aus­ge­wei­tet wer­den, dass ein Eltern­teil per­ma­nent die Lenk­stan­ge des Kin­der­ra­des hält.

Dar­auf ver­weist der Erlan­ger Fach­an­walt für Ver­kehrs­recht Mar­cus Fischer, Vize­prä­si­dent des VdVKA — Ver­band deut­scher Ver­kehrs­rechts­An­wäl­te e. V. mit Sitz in Kiel, unter Hin­weis auf eine Mit­tei­lung des Amts­ge­richts (AG) Mün­chen vom 30 Mai 2011 zum Urteil vom 19.11.2010, Az.: 122 C 8128/10.

Die Ehe­frau des Besit­zers eines Mer­ce­des-Benz fuhr an einem Mor­gen im Novem­ber 2009 von der Lud­wig­stra­ße in den Wal­ter-Klin­gen­beck-Weg in Mün­chen, um auf einem dor­ti­gen Park­platz das Auto abzu­stel­len. Auf dem Weg dort­hin kam sie an einem Kin­der­gar­ten vor­bei. Vor die­sem stan­den eini­ge Kin­der mit Fahr­rä­dern. Eines die­ser Räder stürz­te um, wor­auf die am Rad befes­tig­te Sicht­stan­ge an den Mer­ce­des stieß. An bei­den lin­ken Fahr­zeug­tü­ren ent­stan­den Schram­men. Die Besei­ti­gung die­ser Schä­den kos­te­te 1350 Euro. Die­ses Geld woll­te der Eigen­tü­mer des Autos von dem Vater der 5‑jährigen Rad­le­rin. Die­ser habe schließ­lich sei­ne Auf­sichts­pflicht ver­letzt. Das Mäd­chen sei schon von der Lud­wig­stra­ße bis zum Kin­der­gar­ten vor sei­ner Frau her­ge­fah­ren und erst bei den Gara­gen auf den Geh­weg gewech­selt. Der Vater sei nir­gends in der Nähe gewe­sen. Das stim­me gar nicht, ent­geg­ne­te der Vater. Ers­tens sei er mit sei­nen Töch­tern aus der Kaul­bach­stra­ße gekom­men. Außer­dem fah­re sei­ne 5‑jährige Toch­ter schon eine Wei­le allein. Er hät­te sie stets ermahnt, vor­sich­tig zu sein. Im kon­kre­ten Fall habe es ein Gedrän­ge gege­ben und nur des­halb sei das Fahr­rad umgefallen.

Die zustän­di­ge Rich­te­rin beim Amts­ge­richt Mün­chen gab dem Vater Recht und wies die Kla­ge ab, so Fischer.

Zwar stün­de fest, dass das Fahr­rad der 5‑jährigen Toch­ter des Beklag­ten den Scha­den ver­ur­sacht habe, die­ser habe aber sei­ne Auf­sichts­pflicht nicht ver­letzt. Bei Kin­dern bestim­me sich das Maß der gebo­te­nen Auf­sicht nach Alter, Eigen­art und Cha­rak­ter, wei­ter­hin nach der Vor­aus­seh­bar­keit des schä­di­gen­den Ver­hal­tens. Ins­ge­samt sei das zu tun, was ver­stän­di­ge Eltern ver­nünf­ti­ger­wei­se in der kon­kre­ten Situa­ti­on an erfor­der­li­chen und zumut­ba­ren Maß­nah­men tref­fen müs­sen, um Schä­di­gun­gen Drit­ter durch ihr Kind zu ver­mei­den. Hin­sicht­lich einer Teil­nah­me am Stra­ßen­ver­kehr wer­de man zwar grund­sätz­lich davon aus­ge­hen müs­sen, dass nicht­schul­pflich­ti­ge Kin­der noch einer Auf­sicht bedür­fen. Beim Aus­maß der Auf­sicht sei­en neben dem Alter des Kin­des und der Erfah­rung als Teil­neh­mer am Stra­ßen­ver­kehr auch die kon­kre­ten Stra­ßen­ver­hält­nis­se zu berücksichtigen.

Im vor­lie­gen­den Fall sei die Toch­ter bereits etwas über 5 Jah­re gewe­sen und sei seit ca. 2 ½ Jah­ren Rad gefah­ren. Vor­her habe sie bereits ein Jahr lang ein Lauf­rad gehabt. Die Stre­cke zum Kin­der­gar­ten fah­re sie eben­falls seit 2 Jah­ren. Unfäl­le habe es kei­ne gegeben.

Des­halb sei kei­ne Pflicht­ver­let­zung dar­in zu sehen, dass ihr erlaubt wor­den sei, die letz­te Stre­cke des Wal­ter-Klin­gen­berg-Wegs allei­ne vor­aus zu fah­ren. Das Gericht sei auch auf Grund der Zeu­gen­aus­sa­gen davon über­zeugt, dass das Kind aus Rich­tung der Kaul­bach­stra­ße gekom­men sei. Die­ser Teil des Weges sei wei­test­ge­hend ein
Geh- und Rad­weg, der nicht von Kraft­fahr­zeu­gen genutzt wer­den könne.

Im Hin­blick auf den Umstand, dass es zu den Erzie­hungs­pflich­ten der Eltern gehö­re, ihr Kind zu selb­stän­di­gen und ver­ant­wor­tungs­be­wuss­ten Ver­kehrs­teil­neh­mern zu erzie­hen, stel­le das Vor­aus­fah­ren­las­sen kei­ne Auf­sichts­pflicht­ver­let­zung dar. Dazu sei es nötig, Kin­dern gewis­se Frei­räu­me zu geben, die es ihnen ermög­li­che, Gefah­ren­si­tua­tio­nen zu erken­nen und zu meis­tern. Bei einem 5‑jährigen Kind sei zudem zu berück­sich­ti­gen, dass es in naher Zukunft in der Lage sein soll­te, den Schul­weg zu bewäl­ti­gen. Es sei daher in Ord­nung, wenn Eltern ein der­ar­ti­ges Kind, dass sein Fahr­rad beherr­sche, klei­ne­re Stre­cken, gera­de auch auf wenig befah­re­nen Stra­ßen allei­ne fah­ren zu lassen.

Außer­dem ste­he auf­grund der Zeu­gen­ein­ver­nah­me auch fest, dass das Fahr­rad auf­grund eines Getüm­mels vor dem Ein­gangs­tor zum Kin­der­gar­ten umge­fal­len sei. Dies hät­te der Vater auch nicht ver­hin­dern kön­nen, wenn er in Sicht­kon­takt gewe­sen wäre. Man kön­ne nicht ver­lan­gen, dass per­ma­nent ein Eltern­teil die Lenk­stan­ge des Kin­der­ra­des hält. Dies wür­de einer Gän­ge­lei des Kin­des gleich­kom­men, die einer nor­ma­len Per­sön­lich­keits­ent­wick­lung hin zum selb­stän­di­gen Ver­kehrs­teil­neh­mer nicht dien­lich wäre. Das Urteil ist rechtskräftig.

Fischer riet, dies zu beach­ten und in allen Zwei­fels­fäl­len unbe­dingt recht­li­chen Rat in Anspruch zu neh­men, wobei er dabei u. a. auch auf den VdVKA — Ver­band deut­scher Ver­kehrs­rechts­an­wäl­te e. V. — www.vdvka.de — verwies.

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