OLG Cel­le, Beschluss vom 08.07.2020, AZ 14 U 25/18

1. Der Begriff der betrieb­li­chen Tätig­keit im Sin­ne von § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII ist weit aus­zu­le­gen. Als betrieb­li­che Tätig­keit des Schä­di­gers ist grund­sätz­lich jede ge-gen Arbeits­un­fall ver­si­cher­te Tätig­keit zu qua­li­fi­zie­ren (Senat, Urteil vom 12. Mai 2010 – 14 U 166/09 –, juris). Hier­zu zählt auch die Durch­füh­rung von Fahr­ten mit Betriebs­fahr­zeu­gen im Stra­ßen­ver­kehr. Eine betrieb­li­che Tätig­keit liegt ins­be­son­de­re dann vor, wenn die Fahrt im Betriebs­in­ter­es­se des Arbeit­ge­bers des Ver­si­cher­ten durch­ge­führt wird.
2. Gro­be Fahr­läs­sig­keit setzt einen objek­tiv schwe­ren und sub­jek­tiv nicht ent­schuld­ba­ren Ver­stoß gegen die Anfor­de­run­gen der im Ver­kehr erfor­der­li­chen Sorg­falt vor­aus. Die­se Sorg­falt muss in unge­wöhn­lich hohem Maße ver­letzt und es muss das­je­ni­ge unbe­ach­tet geblie­ben sein, was im gege­be­nen Fall jedem hät­te ein­leuch­ten müs­sen. Ein objek­tiv gro­ber Pflich­ten­ver­stoß recht­fer­tigt für sich allein noch nicht den Schluss auf ein ent­spre­chend gestei­ger­tes per­so­na­les Ver­schul­den, nur weil ein sol­ches häu­fig damit ein­her­zu­ge­hen pflegt. Viel­mehr erscheint eine Inan­spruch­nah­me des haf­tungs­pri­vi­le­gier­ten Schä­di­gers im Wege des Rück­griffs nur dann gerecht­fer­tigt, wenn eine auch sub­jek­tiv schlecht­hin unent­schuld­ba­re Pflicht­ver­let­zung vor­liegt, die das in § 276 Abs. 1 BGB bestimm­te Maß erheb­lich über­schrei­tet (vgl. u.a. BGH, Urtei­le vom 30. Janu­ar 2001 – VI ZR 49/00 –; vom 12. Janu­ar 1988 – VI ZR 158/87 sowie BGHZ 119, 147, 149).
3. Für die Ent­schei­dung, ob die Her­bei­füh­rung eines Ver­kehrs­un­falls als grob fahr­läs­sig zu qua­li­fi­zie­ren ist, sind stets die Umstän­de des kon­kre­ten Ein­zel­falls maß­geb­lich. Gro­be Fahr­läs­sig­keit kann anzu­neh­men sein, wenn ein Fahr­zeug­füh­rer auf gera­der Stre­cke bei unge­min­der­ter Erkenn­bar­keit von hin­ten auf ein ord­nungs­ge­mäß und hin­rei­chend beleuch­te­tes Tre­cker-Anhän­ger-Gespann auf­fährt, ohne aus­zu­wei­chen oder abzu­brem­sen (hier bejaht).
4. Ist unstrei­tig oder steht nach einer Beweis­auf­nah­me fest, dass der Ver­letz­te bei dem Ver­kehrs­un­fall ent­ge­gen § 21a Abs. 1 S. 1 StVO den Sicher­heits­gut nicht ange­legt hat­te und die erlit­te­nen Ver­let­zun­gen in erheb­li­chem Umfang auf die­sem Umstand beru­hen, ist der Auf­wen­dungs­er­satz­an­spruch gemäß § 110 Abs. 1 S. 1 SGB VII wegen des dem Sozi­al­ver­si­che­rungs­trä­ger zuzu­rech­nen­den Mit­ver­schul­dens des Ver­si­cher­ten in ange­mes­se­nem Umfang – hier mit 40% bemes­sen – zu kür­zen. Die Bemes­sung des Mit­ver­schul­dens erfolgt ein­heit­lich; eine Dif­fe­ren­zie­rung danach, ob ein­zel­ne Ver­let­zun­gen oder Ver­let­zungs­fol­gen bzw. die ein­zel­nen Auf­wen­dun­gen des Sozi­al­ver­si­che­rungs­trä­gers dar­auf zurück­zu­füh­ren sind, dass der Geschä­dig­te ange­gur­tet war oder nicht, fin­det nicht statt.
5. Ist der Rechts­streit hin­sicht­lich des Anspruchs­grun­des ent­schei­dungs­reif, wäh­rend zur Höhe noch eine umfang­rei­che Beweis­auf­nah­me ansteht, hat das Beru­fungs­ge­richt das klag­ab­wei­sen­de Urteil des Erst­ge­richts (teil­wei­se) abzu­än­dern und ein Grund­ur­teil zu erlas­sen; wegen des Betrags­ver­fah­rens ist das Urteil des Erst­ge­richts im Übri­gen gemäß § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO auf­zu­he­ben und der Rechts-streit inso­weit zur erneu­ten Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das Erst­ge­richt zurückzuverweisen.

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