Ver­ur­sacht ein vom rech­ten auf den lin­ken Fahr­strei­fen einer Auto­bahn wech­seln­der Ver­kehrs­teil­neh­mer einen Auf­fahr­un­fall, weil er den rück­wär­ti­gen Ver­kehr nicht beach­tet, kann dem auf­fah­ren­den Ver­kehrs­teil­neh­mer 100 %-iger Scha­dens­er­satz zuste­hen, auch wenn er die Richt­ge­schwin­dig­keit von 130 km/h vor dem Zusam­men­stoß — maß­voll — über­schrit­ten hat. Unter Hin­weis auf die­se Rechts­la­ge hat der 7. Senat des Ober­lan­des­ge­richts Hamm mit Beschluss vom 08.02.2018 das erst­in­stanz­li­che Urteil des Land­ge­richts Essen vom 28.04.2017 (Az. 19 O 252/15 LG Essen) bestätigt.
Der Klä­ger aus Ober­hau­sen nimmt den Beklag­ten aus Dort­mund und den Haft­pflicht­ver­si­che­rer des Beklag­ten aus einem Ver­kehrs­un­fall auf Scha­dens­er­satz in Anspruch, der sich am 14.05.2015 auf der BAB 31 in Bot­trop ereig­ne­te. Der sei­ner­zeit 30 Jah­re alte Sohn des Klä­gers befuhr mit des­sen Seat die lin­ke Fahr­spur und beab­sich­tig­te, den auf der rech­ten Fahr­spur mit sei­nem Dacia fah­ren­den, sei­ner­zeit 45 Jah­re alten Beklag­ten mit einer Geschwin­dig­keit von ca. 150 km/h zu über­ho­len. Als sich das klä­ge­ri­sche Fahr­zeug dem Fahr­zeug des Beklag­ten bereits genä­hert hat­te, wech­sel­te die­ser ohne ersicht­li­chen Grund und ohne Betä­ti­gen des Fahrt­rich­tungs­an­zei­gers auf die lin­ke Fahr­spur. Es kam zum Auf­fahr­un­fall, weil der Sohn des Klä­gers das klä­ge­ri­sche Fahr­zeug nicht mehr recht­zei­tig abbrem­sen und dem Fahr­zeug des Beklag­ten auch nicht aus­wei­chen konnte.
Den Ersatz des dem Klä­ger durch den Unfall ent­stan­de­nen Scha­dens in Höhe von ca. 7.640 Euro hat das Land­ge­richt dem Klä­ger in vol­lem Umfang zuer­kannt. Der Beklag­te habe den Unfall ver­schul­det, so das Land­ge­richt, weil er den Fahr­strei­fen­wech­sel nicht recht­zei­tig und deut­lich ange­kün­digt und auch nicht so aus­ge­führt habe, dass eine Gefähr­dung ande­rer Ver­kehrs­teil­neh­mer aus­ge­schlos­sen gewe­sen sei. Dass der Sohn des Klä­gers den Unfall durch das Über­schrei­ten der Richt­ge­schwin­dig­keit mit­ver­ur­sacht habe, recht­fer­ti­ge auf­grund des gro­ben Ver­schul­dens des Beklag­ten kei­ne Mit­haf­tung des Klägers.
Mit ihrer gegen das erst­in­stanz­li­che Urteil ein­ge­leg­ten Beru­fung haben die Beklag­ten gel­tend gemacht, das Über­schrei­ten der Richt­ge­schwin­dig­keit durch den Sohn des Klä­gers habe die Betriebs­ge­fahr des klä­ge­ri­schen Fahr­zeugs so erhöht, dass eine Mit­haf­tung des Klä­gers in Höhe 25 % gerecht­fer­tigt sei.
Der Argu­men­ta­ti­on der Beklag­ten hat sich der 7. Zivil­se­nat des Ober­lan­des­ge­richts Hamm nicht ange­schlos­sen. Nach sei­nem Hin­weis­be­schluss vom 21.12.2017 hat der Senat die Beru­fung mit Beschluss vom 08.02.2018 zurückgewiesen.
Das Über­schrei­ten der Richt­ge­schwin­dig­keit begrün­de im vor­lie­gen­den Fall kei­ne Mit­haf­tung des Klä­gers, so der Senat. Dies fol­ge aus der gebo­te­nen Haftungsabwägung.
Den Beklag­ten tref­fe ein erheb­li­ches Ver­schul­den. Aus Unacht­sam­keit und ohne den rück­wär­ti­gen Ver­kehr zu beob­ach­ten habe er sein Fahr­zeug auf die lin­ke Fahr­spur herübergezogen.
Ein schuld­haf­ter, den Unfall mit­ver­ur­sa­chen­der Ver­kehrs­ver­stoß des Soh­nes des Klä­gers sei dem­ge­gen­über nicht bewie­sen. Bei der vor den bei­den Fahr­zeu­gen frei­en Auto­bahn habe er nicht mit einem plötz­li­chen Spur­wech­sel des Beklag­ten rech­nen müs­sen. Eine Geschwin­dig­keits­be­gren­zung sei auf dem Stre­cken­ab­schnitt der BAB nicht ange­ord­net, die nach den Anga­ben des Soh­nes des Klä­gers gefah­re­ne Geschwin­dig­keit von 150 km/h sei mit den Stra­ßen- und Sicht­ver­hält­nis­sen ver­ein­bar gewe­sen. Eine höhe­re Geschwin­dig­keit des klä­ge­ri­schen Fahr­zeugs sei nicht feststellbar.
Die damit auf Sei­ten des Klä­gers zu berück­sich­ti­gen­de Betriebs­ge­fahr sei­nes Fahr­zeugs fal­le auf­grund des erheb­li­chen Ver­schul­dens des Beklag­ten im Abwä­gungs­ver­hält­nis nicht mehr ins Gewicht. Aus der maß­vol­len Über­schrei­tung der Richt­ge­schwin­dig­keit um 20 km/h habe sich kei­ne Gefah­ren­si­tua­ti­on für den vor­aus­fah­ren­den Beklag­ten erge­ben. Im Unfall habe sich die mit der Über­schrei­tung der Richt­ge­schwin­dig­keit für einen vor­aus­fah­ren­den Ver­kehrs­teil­neh­mer häu­fig ver­bun­de­ne Gefahr, dass die Annä­he­rungs­ge­schwin­dig­keit des rück­wär­ti­gen Ver­kehrs unter­schätzt wer­de, nicht ver­wirk­licht. Der Beklag­te habe aus Unacht­sam­keit und ohne den rück­wär­ti­gen Ver­kehr über­haupt zu beob­ach­ten einen unge­woll­ten Fahr­strei­fen­wech­sel aus­ge­führt. In die­sem Fall habe das Über­schrei­ten der Richt­ge­schwin­dig­keit für den Beklag­ten nicht gefah­rer­hö­hend gewirkt. Davon habe auch der Sohn des Klä­gers aus­ge­hen dür­fen. Er habe auf­grund der frei­en Auto­bahn dar­auf ver­trau­en dür­fen, dass der Beklag­te den rech­ten Fahr­strei­fen nicht grund­los verlasse.

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