BGH, Beschluss vom 25.07.2022, AZ VII ZR 422/21

Der unter ande­rem für Scha­dens­er­satz­an­sprü­che aus uner­laub­ten Hand­lun­gen, die den Vor­wurf einer unzu­läs­si­gen Abschalt­ein­rich­tung bei einem Kraft­fahr­zeug mit Die­sel­mo­tor zum Gegen­stand haben, zustän­di­ge VII. Zivil­se­nat hat­te erneut über die Ver­jäh­rung von Scha­dens­er­satz­an­sprü­chen im Zusam­men­hang mit dem soge­nann­ten Die­sel­skan­dal zu ent­schei­den sowie über einen gegen die Volks­wa­gen AG gel­tend gemach­ten Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB bezüg­lich eines von die­ser her­ge­stell­ten und in ein Neu­fahr­zeug der AUDI AG ein­ge­bau­ten Die­sel­mo­tors des Typs EA 189. 

Sach­ver­halt:

Die Klä­ge­rin nahm die beklag­te Volks­wa­gen AG wegen der Ver­wen­dung einer unzu­läs­si­gen Abschalt­ein­rich­tung in ihrem Fahr­zeug Audi Q5 2.0 TDI, das im Dezem­ber 2011 bei einem Auto­händ­ler als Neu­wa­gen zum Preis von 54.000 € erwor­ben wor­den war, auf Scha­dens­er­satz in Anspruch. Das Fahr­zeug ist mit einem von der Beklag­ten her­ge­stell­ten Die­sel­mo­tor des Typs EA 189 aus­ge­stat­tet. Der Motor ent­hielt eine Steue­rungs­soft­ware, durch wel­che auf dem Prüf­stand beim Durch­fah­ren des Neu­en Euro­päi­schen Fahr­zy­klus gerin­ge­re Stick­oxid­wer­te erzielt wur­den als im rea­len Fahr­be­trieb (“Umschalt­lo­gik”).

Am 22. Sep­tem­ber 2015 ver­öf­fent­lich­te die Beklag­te eine Ad-hoc-Mit­tei­lung, wonach Fahr­zeu­ge mit Die­sel­mo­to­ren des Typs EA 189 im Gesamt­vo­lu­men von welt­weit elf Mil­lio­nen Stück auf­fäl­lig sei­en. In der Fol­ge wur­de über die The­ma­tik in den Medi­en umfang­reich berich­tet und die­se all­ge­mein als “Abgas-” bezie­hungs­wei­se “Die­sel­skan­dal” bezeich­net. Auch über die Betrof­fen­heit ande­rer Kon­zern­mar­ken wie Audi wur­de von Anfang an berich­tet. Am 25. Sep­tem­ber 2015 gab die Beklag­te öffent­lich bekannt, dass an einer tech­ni­schen Lösung gear­bei­tet wer­de. Am 29. Sep­tem­ber 2015 infor­mier­te sie dar­über, dass sie einen Akti­ons­plan erar­bei­tet habe, nach dem den Behör­den Maß­nah­men vor­ge­schla­gen, Kun­den infor­miert und eine Web­sei­te zur indi­vi­du­el­len Über­prü­fung erstellt wür­den. Anfang Okto­ber 2015 schal­te­te die Beklag­te eine Web­sei­te frei, auf der jeder­mann unter Ein­ga­be der Fahr­zeug-Iden­ti­fi­zie­rungs­num­mer (FIN) ermit­teln konn­te, ob das Fahr­zeug mit einem vom soge­nann­ten Die­sel­skan­dal betrof­fe­nen Motor aus­ge­stat­tet war. Hier­über infor­mier­te die Beklag­te mit Pres­se­mit­tei­lung vom 2. Okto­ber 2015, wor­über in den Medi­en berich­tet wur­de. Dane­ben bestand die Mög­lich­keit, sich tele­fo­nisch oder schrift­lich bei der Beklag­ten zu infor­mie­ren, ob in einem kon­kre­ten Pkw die Soft­ware ver­baut ist. Im Dezem­ber 2015 gab die Beklag­te das Ziel aus, die Erfül­lung der Abgas­nor­men ohne Beein­träch­ti­gung der Motor­leis­tung, des Ver­brauchs und der Fahr­leis­tun­gen zu errei­chen. Kun­den wur­den gebe­ten, vor akti­ver Kon­takt­auf­nah­me zu einem Volks­wa­gen-Part­ner­be­trieb wei­te­re schrift­li­che Infor­ma­tio­nen abzuwarten. 

Mit ihrer im Jahr 2020 ein­ge­reich­ten Kla­ge hat die Klä­ge­rin die Erstat­tung des Kauf­prei­ses abzüg­lich einer Nut­zungs­ent­schä­di­gung nebst Zah­lung von Pro­zess­zin­sen Zug um Zug gegen Über­eig­nung und Her­aus­ga­be des Fahr­zeugs, die Fest­stel­lung des Annah­me­ver­zugs der Beklag­ten sowie die Zah­lung vor­ge­richt­li­cher Rechts­ver­fol­gungs­kos­ten ver­langt. Sie hat behaup­tet, erst durch ein Schrei­ben der AUDI AG im Janu­ar 2017 von der Betrof­fen­heit ihres Fahr­zeugs vom soge­nann­ten Abgas­skan­dal erfah­ren zu haben. Die Beklag­te hat die Ein­re­de der Ver­jäh­rung erhoben. 

Bis­he­ri­ger Prozessverlauf: 

Die Kla­ge hat­te in den Vor­in­stan­zen weit­ge­hend Erfolg. Das Beru­fungs­ge­richt ist davon aus­ge­gan­gen, ein Anspruch der Klä­ge­rin auf Scha­dens­er­satz wegen vor­sätz­li­cher sit­ten­wid­ri­ger Schä­di­gung sei nicht verjährt. 

Ent­schei­dung des Bundesgerichtshofs: 

Die Revi­si­on der Beklag­ten hat­te Erfolg. Der VII. Zivil­se­nat des Bun­des­ge­richts­hofs hat die Kla­ge ins­ge­samt abgewiesen. 

Der von der Klä­ge­rin gel­tend gemach­te Scha­dens­er­satz­an­spruch nach § 826 BGB ist ver­jährt. Rechts­feh­ler­haft hat das Beru­fungs­ge­richt ange­nom­men, die Klä­ge­rin habe die für den Ver­jäh­rungs­be­ginn erfor­der­li­che Kennt­nis ohne gro­be Fahr­läs­sig­keit im Sin­ne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB erst im Jahr 2017 erlangt. Grob fahr­läs­si­ge Unkennt­nis der Klä­ge­rin von der Betrof­fen­heit ihres Fahr­zeugs lag viel­mehr schon bis Ende 2016 vor. Die drei­jäh­ri­ge Ver­jäh­rungs­frist des § 195 BGB begann daher mit Schluss des Jah­res 2016 und konn­te durch die im Jahr 2020 erho­be­ne Kla­ge nicht mehr gehemmt werden. 

Aus­ge­hend von ihrer — außer Streit ste­hen­den — all­ge­mei­nen Kennt­nis vom soge­nann­ten Die­sel­skan­dal hat­te die Klä­ge­rin spä­tes­tens bis Ende 2016 Ver­an­las­sung, die Betrof­fen­heit ihres Fahr­zeugs zu ermit­teln. An den dies­be­züg­li­chen Grund­sät­zen sei­ner Recht­spre­chung (Pres­se­mit­tei­lung Nr. 18/2022 vom 10. Febru­ar 2022) hat der VII. Zivil­se­nat fest­ge­hal­ten. Dass die Klä­ge­rin nach einer all­ge­mei­nen Ankün­di­gung der Beklag­ten, die Kun­den zu infor­mie­ren, kein Anschrei­ben im Jahr 2016 bekom­men haben will, und Kun­den Ende 2015 noch gebe­ten wur­den, vor akti­ver Kon­takt­auf­nah­me zu einem Volks­wa­gen-Part­ner­be­trieb wei­te­re schrift­li­che Infor­ma­tio­nen abzu­war­ten, begrün­de­te kein zeit­lich unbe­grenz­tes berech­tig­tes Ver­trau­en der Klä­ge­rin dar­auf, ihr Fahr­zeug sei nicht betrof­fen. Ange­sichts der Län­ge des seit Bekannt­wer­den des soge­nann­ten Die­sel­skan­dals ver­stri­che­nen Zeit­raums bestand für die Klä­ge­rin spä­tes­tens bis Ende 2016 Anlass, die­se Betrof­fen­heit selbst zu recher­chie­ren. Dies nicht getan zu haben, war grob fahrlässig. 

Das Beru­fungs­ur­teil erwies sich auch nicht aus ande­ren Grün­den als rich­tig. Soweit die Klä­ge­rin in der Revi­si­ons­ver­hand­lung auf hilfs­wei­ses Vor­brin­gen betref­fend einen Anspruch auf Rest­scha­dens­er­satz nach § 852 Satz 1 BGB Bezug genom­men hat, folgt auch hier­aus kei­ne Haf­tung der Beklagten. 

Wie der VII. Zivil­se­nat eben­falls schon ent­schie­den hat (Pres­se­mit­tei­lung Nr. 18/2022 vom 10. Febru­ar 2022), setzt ein Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB in Fäl­len der vor­lie­gen­den Art jeden­falls vor­aus, dass die Beklag­te im Ver­hält­nis zum Geschä­dig­ten etwas aus dem Fahr­zeug­ver­kauf an die­sen erlangt hat. Eine sol­che Ver­mö­gens­ver­schie­bung im Sin­ne von § 852 Satz 1 BGB ist im Ver­hält­nis zwi­schen der Klä­ge­rin und der Beklag­ten zu ver­nei­nen. In der vor­lie­gen­den Kon­stel­la­ti­on des Erwerbs eines von einer Toch­ter­ge­sell­schaft der Beklag­ten her­ge­stell­ten und in den Ver­kehr gebrach­ten Fahr­zeugs, das mit einem von der Beklag­ten her­ge­stell­ten und mit einer unzu­läs­si­gen Abschalt­ein­rich­tung ver­se­he­nen Motor aus­ge­stat­tet ist, schei­det ein Anspruch des Geschä­dig­ten nach § 852 Satz 1 BGB gegen die Beklag­te regel­mä­ßig auch dann aus, wenn der Geschä­dig­te das Fahr­zeug als Neu­wa­gen erwor­ben hat. Denn in die­sen Fäl­len hat die Beklag­te einen wirt­schaft­li­chen Vor­teil allen­falls im Zusam­men­hang mit der Her­stel­lung und Ver­äu­ße­rung des Motors erlangt und nicht durch das spä­te­re Inver­kehr­brin­gen des nicht von ihr ent­wi­ckel­ten und her­ge­stell­ten Fahr­zeugs, in das der Motor ein­ge­baut wur­de. Der scha­dens­aus­lö­sen­de Ver­trags­schluss über den Fahr­zeu­ger­werb zwi­schen Geschä­dig­tem und Fahr­zeug­händ­ler einer­seits sowie ein mög­li­cher Vor­teil der Beklag­ten aus der kon­zern­in­ter­nen Über­las­sung des Fahr­zeug­mo­tors an den Fahr­zeug­her­stel­ler ande­rer­seits beru­hen gera­de nicht auf der­sel­ben — auch nicht nur mit­tel­ba­ren — Ver­mö­gens­ver­schie­bung, wie sie der Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB vor­aus­setzt. Dem Motor­her­stel­ler, der einen Vor­teil bereits mit der Her­stel­lung und Ver­äu­ße­rung des Motors rea­li­siert hat, fließt im Zusam­men­hang mit dem Abschluss des unge­woll­ten Kauf­ver­trags und dem hier­auf beru­hen­den Ver­mö­gens­scha­den des geschä­dig­ten Fahr­zeu­ger­wer­bers durch sei­ne (des Motor­her­stel­lers) uner­laub­te Hand­lung nichts — mehr — zu. 

Ent­ge­gen der von der Beklag­ten in der Revi­si­ons­ver­hand­lung ver­tre­te­nen Ein­schät­zung liegt in den zu Gebraucht­wa­gen ergan­ge­nen Urtei­len des VII. Zivil­se­nats vom 10. Febru­ar 2022 (sie­he dazu Pres­se­mit­tei­lung Nr. 18/2022) ver­wen­de­ten Begrif­fen eines “etwai­gen” Vor­teils bezie­hungs­wei­se “etwai­gen” Ver­käu­fer­ge­winns kei­ne Abwei­chung von der Recht­spre­chung des VIa. Zivil­se­nats des Bun­des­ge­richts­hofs zur Anwen­dung von § 852 Satz 1 BGB auf Neu­wa­gen­fäl­le, die der VII. Zivil­se­nat viel­mehr inhalt­lich teilt. Die betref­fen­den sprach­li­chen Ein­schrän­kun­gen sind, wie sich bereits aus dem Gesamt­zu­sam­men­hang der jewei­li­gen Ent­schei­dungs­grün­de ohne Wei­te­res erschließt, aus­schließ­lich dem Umstand geschul­det, dass das tat­säch­li­che Vor­han­den­sein eines “Gewinns” oder “Vor­teils” man­gels Ent­schei­dungs­er­heb­lich­keit jeweils dahin­ste­hen kann bezie­hungs­wei­se konnte. 

Dass im Aus­gangs­punkt auch eine delik­ti­sche Haf­tung des Motor­her­stel­lers gegen­über dem Fahr­zeu­ger­wer­ber in Betracht zu zie­hen ist, wenn der Motor­her­stel­ler den Motor mit einer unzu­läs­si­gen Abschalt­ein­rich­tung aus­stat­tet und in dem Bewusst­sein in den Ver­kehr bringt, dass er von sei­ner Toch­ter­ge­sell­schaft in ein Fahr­zeug ver­baut und die­ses an einen arg­lo­sen Käu­fer ver­äu­ßert wer­den wird, steht nicht ent­ge­gen. Denn die delik­ti­sche Haf­tung knüpft in die­sen Fäl­len dar­an an, dass der Motor­her­stel­ler sich bereits bei der dem Fahr­zeu­ger­werb vor­ge­la­ger­ten Her­stel­lung des Motors und der Pro­gram­mie­rung der Motor­steue­rungs­soft­ware die Arg­lo­sig­keit und das Ver­trau­en der Fahr­zeug­käu­fer in die Ein­hal­tung der gesetz­li­chen Vor­ga­ben zunut­ze gemacht hat. Die­se Tat­be­stands­vor­aus­set­zung der Scha­dens­er­satz­haf­tung ist jedoch von der Fra­ge zu tren­nen, ob der Schä­di­ger durch die uner­laub­te Hand­lung selbst etwas im Sin­ne von § 852 Satz 1 BGB auf Kos­ten des Geschä­dig­ten erlangt hat. 

Auch der Umstand, dass die beklag­te Motor­her­stel­le­rin als Kon­zern­mut­ter der Fahr­zeug­her­stel­le­rin mit die­ser wirt­schaft­lich ver­floch­ten ist, führt zu kei­ner ande­ren Beur­tei­lung. Der Umsatz­er­lös der Toch­ter­ge­sell­schaft aus dem Ver­kauf eines von ihr her­ge­stell­ten Fahr­zeugs begrün­det weder unmit­tel­bar noch mit­tel­bar einen damit deckungs­glei­chen Wert­zu­wachs des Geschäfts­an­teils der Mut­ter­ge­sell­schaft. Dass nach dem Vor­trag der Klä­ge­rin zwi­schen der Beklag­ten und der Fahr­zeug­her­stel­le­rin ein Beherr­schungs- und Gewinn­ab­füh­rungs­ver­trag besteht, ist eben­falls uner­heb­lich. Denn inso­weit hat die Beklag­te allen­falls einen Vor­teil im Zusam­men­hang mit einem etwai­gen Gesamt­ge­winn der Fahr­zeug­her­stel­le­rin im Geschäfts­jahr 2011 erzielt, nicht jedoch — wor­auf es im Rah­men des § 852 Satz 1 BGB ent­schei­dend ankommt — kon­kret im Zusam­men­hang mit dem — im Streit­fall an den Fahr­zeug­händ­ler — gezahl­ten Kaufpreis.
Das ange­foch­te­ne Urteil konn­te daher kei­nen Bestand haben. Der Bun­des­ge­richts­hof konn­te in der Sache selbst ent­schei­den, da wei­te­re tat­säch­li­che Fest­stel­lun­gen, die für die jeden­falls Ende 2016 vor­lie­gen­de grob fahr­läs­si­ge Unkennt­nis der Klä­ge­rin von der Betrof­fen­heit ihres Fahr­zeugs oder die Vor­aus­set­zun­gen eines Anspruchs nach § 852 Satz 1 BGB bedeut­sam sein könn­ten, weder erfor­der­lich noch zu erwar­ten waren. 

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