BGH, Beschluss vom 17.01.2022, AZ VIII ZR 190/19

Aus­ga­be: 12–2021

Der Bun­des­ge­richts­hof hat sich heu­te erneut mit Fra­gen betref­fend den Nach­er­fül­lungs­an­spruch eines Käu­fers eines auf­grund einer unzu­läs­si­gen Abschalt­ein­rich­tung man­gel­haf­ten Neu­fahr­zeugs beschäf­tigt (vgl. hier­zu bereits Senats­ur­tei­le vom 21. Juli 2021 — VIII ZR 254/20 et al. – Pres­se­mit­tei­lung Nr. 140/2021) und sei­ne dies­be­züg­li­che Recht­spre­chung weiterentwickelt. 

Sach­ver­halt:

Der Klä­ger erwarb im Juni 2015 von der beklag­ten Fahr­zeug­händ­le­rin im Rah­men eines Ver­brauchs­gü­ter­kaufs zum Preis von 19.910 € ein mit einem Die­sel­mo­tor EA 189 aus­ge­stat­te­tes Neu­fahr­zeug Volks­wa­gen Cad­dy III, des­sen Motor­steue­rungs­soft­ware den Prüf­stand­lauf erkann­te und in die­sem Fall den Aus­stoß von Stick­oxi­den ver­rin­ger­te. Nach­dem die Ver­wen­dung ent­spre­chen­der Vor­rich­tun­gen bei Die­sel­mo­to­ren des Typs EA 189 im Ver­lauf des soge­nann­ten Die­sel­skan­dals öffent­lich bekannt gewor­den war, teil­te der Fahr­zeug­her­stel­ler dem Klä­ger im Dezem­ber 2016 mit, dass für sein Fahr­zeug nun­mehr ein zur Besei­ti­gung der Abschalt­ein­rich­tung ent­wi­ckel­tes und vom Kraft­fahrt­bun­des­amt frei­ge­ge­be­nes Soft­ware-Update zur Ver­fü­gung ste­he. Der Klä­ger lehn­te das Auf­spie­len des Updates ab und ver­lang­te statt­des­sen im Mai 2017 von der Beklag­ten die Ersatz­lie­fe­rung eines man­gel­frei­en Neu­fahr­zeugs des Nach­fol­ge­mo­dells Volks­wa­gen Cad­dy IV. Die Beklag­te ver­wei­ger­te eine Nach­lie­fe­rung unter ande­rem mit der Begrün­dung, dass deren Kos­ten im Ver­gleich zu dem Auf­wand einer Nach­bes­se­rung durch das Soft­ware-Update unver­hält­nis­mä­ßig seien. 

Bis­he­ri­ger Prozessverlauf: 

In den Vor­in­stan­zen hat der Klä­ger mit sei­nem auf Lie­fe­rung eines fabrik­neu­en, typen­glei­chen Ersatz­fahr­zeugs gerich­te­ten Begeh­ren kei­nen Erfolg gehabt. Nach Auf­fas­sung des Beru­fungs­ge­richts hat die Beklag­te die Ersatz­lie­fe­rung gemäß § 439 Abs. 3 BGB (alte Fas­sung; nun­mehr § 439 Abs. 4 BGB) ver­wei­gern dür­fen, weil für die Ersatz­lie­fe­rung eines man­gel­frei­en Neu­fahr­zeugs in Gestalt des zwi­schen­zeit­lich auf den Markt getre­te­nen Nach­fol­ge­mo­dells Volks­wa­gen Cad­dy IV nach Anga­ben der Beklag­ten nun­mehr Beschaf­fungs­kos­ten von 27.536,60 € anfie­len, so dass die Kos­ten einer sol­chen Ersatz­lie­fe­rung (auch nach Abzug des Wer­tes des vom Klä­ger zurück­zu­ge­ben­den ursprüng­lich erwor­be­nen Fahr­zeugs) die Kos­ten für die Umrüs­tung durch das Soft­ware-Update von maxi­mal 100 € um mehr als das 117-fache über­schrit­ten und damit unver­hält­nis­mä­ßig sei­en (soge­nann­te rela­ti­ve Unver­hält­nis­mä­ßig­keit). Soweit der Klä­ger dem­ge­gen­über ein­ge­wandt habe, eine Nach­bes­se­rung durch das vom Her­stel­ler ent­wi­ckel­te Update schei­de von vorn­her­ein aus, weil es zur Instal­la­ti­on einer ande­ren Abschalt­ein­rich­tung (“Ther­mofens­ter”), zu Fol­ge­schä­den (Leis­tungs­ver­lust, höhe­rer Kraft­stoff­ver­brauch u.a.) und zu einem mer­kan­ti­len Min­der­wert des Fahr­zeugs führ­te, sei­en sei­ne Behaup­tun­gen ohne Substanz. 

Mit sei­ner vom Beru­fungs­ge­richt zuge­las­se­nen Revi­si­on hat der Klä­ger sein Kla­ge­be­geh­ren weiterverfolgt.

Die Ent­schei­dung des Bundesgerichtshofs: 

Der unter ande­rem für das Kauf­recht zustän­di­ge VIII. Zivil­se­nat des Bun­des­ge­richts­hofs hat ent­schie­den, dass der Käu­fer eines (hier auf­grund einer unzu­läs­si­gen Abschalt­ein­rich­tung) man­gel­haf­ten Neu­fahr­zeugs im Rah­men sei­ner Gewähr­leis­tungs­rech­te die Ersatz­lie­fe­rung eines nun­mehr her­ge­stell­ten Nach­fol­ge­mo­dells nur gegen eine ange­mes­se­ne Zuzah­lung ver­lan­gen kann, wenn die­ses einen erheb­li­chen Mehr­wert gegen­über dem ursprüng­lich erwor­be­nen Fahr­zeug auf­weist. Wei­ter hat der Senat klar­ge­stellt, dass die Dar­le­gungs- und Beweis­last für das Vor­lie­gen der tat­säch­li­chen Vor­aus­set­zun­gen der Unver­hält­nis­mä­ßig­keits­ein­re­de des Ver­käu­fers nach § 439 Abs. 3 BGB (alte Fas­sung), der den Käu­fer auf eine kos­ten­güns­ti­ge­re Nach­bes­se­rung ver­wei­sen will, grund­sätz­lich den Ver­käu­fer trifft. 

Der Senat hat zunächst sei­ne Urtei­le vom 21. Juli 2021 (VIII ZR 254/20 et al. – Pres­se­mit­tei­lung Nr. 140/2021) bestä­tigt, wonach eine vom Käu­fer eines man­gel­haf­ten Neu­wa­gens gefor­der­te Ersatz­lie­fe­rung gemäß § 437 Nr. 1, § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB nicht bereits des­halb unmög­lich (§ 275 Abs. 1 BGB) und damit aus­ge­schlos­sen ist, weil anstel­le des ursprüng­lich erwor­be­nen Fahr­zeug­mo­dells zwi­schen­zeit­lich ein Nach­fol­ge­mo­dell auf den Markt getre­ten ist. Viel­mehr erstreckt sich die sog. Beschaf­fungs­pflicht des Ver­käu­fers in einem sol­chen Fall – bei bei­der­seits inter­es­sen­ge­rech­ter Aus­le­gung der auf den Abschluss des Kauf­ver­trags gerich­te­ten Wil­lens­er­klä­run­gen — auch auf ein neu­wer­ti­ges Nach­fol­ge­mo­dell, solan­ge der Käu­fer sei­nen Nach­lie­fe­rungs­an­spruch — wie vor­lie­gend gesche­hen — inner­halb eines Zeit­raums von zwei Jah­ren ab Ver­trags­ab­schluss gegen­über dem Ver­käu­fer gel­tend gemacht hat. 

Soweit in einem sol­chen Fall das betref­fen­de Nach­fol­ge­mo­dell aller­dings – was der Ver­käu­fer dar­zu­le­gen und ggfs. zu bewei­sen hat — einen erheb­li­chen Mehr­wert gegen­über dem ursprüng­lich erwor­be­nen Modell auf­weist, der eine Erhö­hung des Lis­ten­prei­ses um ein Vier­tel oder mehr vor­aus­setzt, ist wei­ter zu prü­fen, ob nach dem nach bei­den Sei­ten inter­es­sen­ge­recht aus­zu­le­gen­den Par­tei­wil­len die Ersatz­lie­fe­rung eines sol­chen Nach­fol­ge­mo­dells nur gegen eine ange­mes­se­ne Zuzah­lung des Käu­fers als aus­tausch­bar anzu­se­hen ist. Liegt die Dif­fe­renz der Lis­ten­prei­se unter die­sem Wert, schei­det eine Oblie­gen­heit des Käu­fers zu einer Zuzah­lung aus. Ist die genann­te Gren­ze erreicht, ist bezüg­lich einer Zuzah­lung des Käu­fers zu beach­ten, dass sie weder des­sen Nach­er­fül­lungs­an­spruch aus­höh­len darf noch den Ver­käu­fer von jeg­li­cher mit der Nach­er­fül­lung ein­her­ge­hen­den wirt­schaft­li­chen Belas­tung befrei­en soll. Daher hat der Käu­fer die einen erheb­li­chen Mehr­wert begrün­den­de Dif­fe­renz zwi­schen den Lis­ten­prei­sen nicht voll­stän­dig, son­dern in der Regel ledig­lich in Höhe eines Drit­tels (in Aus­nah­me­fäl­len bis zur Hälf­te) aus­zu­glei­chen. Falls der Käu­fer zu einer hier­nach ange­mes­se­nen – im jewei­li­gen Ein­zel­fall vom Tatrich­ter nach frei­em Schät­zungs­er­mes­sen zu bestim­men­den – Zuzah­lung nicht bereit sein soll­te, ent­fällt die das Nach­fol­ge­mo­dell erfas­sen­de Beschaf­fungs­pflicht des Ver­käu­fers und damit auch ein hier­auf gerich­te­ter Nach­lie­fe­rungs­an­spruch des Käu­fers. Etwai­ge wei­te­re Gewähr­leis­tungs­an­sprü­che des Käu­fers blei­ben hier­von aller­dings unberührt. 

Nach den bis­he­ri­gen Fest­stel­lun­gen des Beru­fungs­ge­richts kann vor­lie­gend nicht aus­ge­schlos­sen wer­den, dass das vom Klä­ger im Rah­men sei­nes Nach­lie­fe­rungs­be­geh­rens bean­spruch­te Modell der vier­ten Fahr­zeug­genera­ti­on des VW Cad­dy gegen­über dem ursprüng­lich erwor­be­nen Modell der drit­ten Genera­ti­on einen erheb­li­chen Mehr­wert auf­weist und nach den vom Senat ent­wi­ckel­ten Grund­sät­zen ein ent­spre­chen­der Nach­lie­fe­rungs­an­spruch des­halb nur gegen eine ange­mes­se­ne Zuzah­lung des Klä­gers in Betracht kom­men könn­te. Um dies abschlie­ßend beur­tei­len zu kön­nen, bedarf es aller­dings zunächst einer Fest­stel­lung der zu ver­glei­chen­den Lis­ten­prei­se durch das Berufungsgericht. 

Auf die von der Beklag­ten erho­be­ne Ein­re­de der rela­ti­ven Unver­hält­nis­mä­ßig­keit nach § 439 Abs. 3 BGB (alte Fas­sung) kommt es nur an, wenn nach den auf­ge­zeig­ten Grund­sät­zen eine Beschaf­fungs­pflicht der Beklag­ten hin­sicht­lich des Nach­fol­ge­mo­dells besteht. Bezüg­lich die­ser Ein­re­de hat der Senat klar­ge­stellt, dass der Ver­käu­fer eine vom Käu­fer ver­lang­te Nach­lie­fe­rung wegen im Ver­gleich zur Nach­bes­se­rung unver­hält­nis­mä­ßi­ger Kos­ten nur dann ver­wei­gern kann, wenn der betref­fen­de Man­gel durch die von ihm ange­bo­te­ne Nach­bes­se­rung voll­stän­dig, nach­hal­tig und fach­ge­recht besei­tigt wür­de. Dar­an fehlt es aber, falls zwar der ursprüng­li­che Man­gel besei­tigt wird, hier­durch jedoch Fol­ge­män­gel her­vor­ge­ru­fen wer­den. Inso­fern ist zu beach­ten, dass nach all­ge­mei­nen Grund­sät­zen der Ver­käu­fer für das Vor­lie­gen der Vor­aus­set­zun­gen der von ihm erho­be­nen Unver­hält­nis­mä­ßig­keits­ein­re­de dar­le­gungs- und beweis­be­las­tet ist. 

Vor­lie­gend ist zwar nicht strei­tig, dass das dem Klä­ger ange­bo­te­ne Soft­ware-Update die Prüf­stan­d­er­ken­nungs­soft­ware ent­fer­nen und damit den bei Über­ga­be vor­han­de­nen Sach­man­gel besei­ti­gen wür­de. Aller­dings hat der Klä­ger im Rah­men sei­ner inso­weit ledig­lich sekun­dä­ren Dar­le­gungs­last hin­rei­chend kon­kret auf — sei­ner Auf­fas­sung nach — durch das Update ver­ur­sach­te Fol­ge­män­gel und einen unab­hän­gig hier­von am Fahr­zeug infol­ge der Betrof­fen­heit vom soge­nann­ten Abgas­skan­dal ver­blei­ben­den mer­kan­ti­len Min­der­wert ver­wie­sen. Ins­be­son­de­re durf­te sich der Klä­ger dabei auch auf nur ver­mu­te­te Tat­sa­chen stüt­zen, denn er kann man­gels eige­ner Sach­kun­de und hin­rei­chen­den Ein­blicks in die Funk­ti­ons­wei­se des Soft­ware-Updates kei­ne genaue Kennt­nis von des­sen kon­kre­ten Aus­wir­kun­gen haben. Aus­ge­hend von der pri­mä­ren Dar­le­gungs­last und der Beweis­last der Beklag­ten im Rah­men der von ihr erho­be­nen Unver­hält­nis­mä­ßig­keits­ein­re­de ist es des­halb — was das Beru­fungs­ge­richt ver­kannt hat — ihre Auf­ga­be, die­se vom Klä­ger hin­rei­chend kon­kret behaup­te­ten Umstän­de, gege­be­nen­falls unter Ein­ho­lung von zu die­sem Zweck ange­bo­te­ner Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­ten, aus­zu­räu­men. Dies gilt nicht zuletzt für die Behaup­tung des Klä­gers, mit dem Soft­ware-Update wer­de erneut eine unzu­läs­si­ge Abschalt­ein­rich­tung in Gestalt einer tem­pe­ra­tur­ab­hän­gi­gen Steue­rung der Abgas­rück­füh­rung (sog. Ther­mofens­ter) imple­men­tiert, der die Beklag­te nach den Fest­stel­lun­gen des Beru­fungs­ge­richts ent­ge­gen­hält, die­ses Vor­ge­hen sei zum Schutz von Bau­tei­len erforderlich. 

Nach alle­dem hat der Senat das Urteil des Beru­fungs­ge­richts auf­ge­ho­ben und die Sache zur erneu­ten Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an die­ses zurückverwiesen. 

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