BGH, Beschluss vom 28.02.2022, AZ VI ZR 937/20

Aus­ga­be: 01/02–2022

Sach­ver­halt

Der Klä­ger wur­de bei einem Ver­kehrs­un­fall erheb­lich ver­letzt. Über einen Zeit­raum von mehr als zwei Jah­ren ver­brach­te er im Rah­men von 13 sta­tio­nä­ren Auf­ent­hal­ten ins­ge­samt 500 Tage im Kran­ken­haus, u.a. muss­te der rech­te Unter­schen­kel ampu­tiert wer­den. Der Klä­ger ist seit­her zu min­des­tens 60 % in sei­ner Erwerbs­fä­hig­keit gemin­dert. Die Ein­stands­pflicht der Beklag­ten (Fah­rer, Hal­ter und Haft­pflicht­ver­si­che­rer des unfall­ver­ur­sa­chen­den Pkw) steht dem Grun­de nach außer Streit. 

Bis­he­ri­ger Prozessverlauf 

Das Land­ge­richt hat dem Klä­ger, soweit für das Revi­si­ons­ver­fah­ren von Inter­es­se, ein Schmer­zens­geld von 100.000 € zuge­spro­chen. Auf die Beru­fung des Klä­gers hat das Ober­lan­des­ge­richt die Beklag­ten zur Zah­lung eines Schmer­zens­gel­des von ins­ge­samt 200.000 € verurteilt. 

Nach der vom Beru­fungs­ge­richt hier­bei ange­wen­de­ten Metho­de der sog. “tag­ge­nau­en Berech­nung” des Schmer­zens­gel­des ergibt sich des­sen Höhe in einem ers­ten Rechen­schritt (Stu­fe I) unab­hän­gig von der kon­kre­ten Ver­let­zung und den damit indi­vi­du­ell ein­her­ge­hen­den Schmer­zen aus der blo­ßen Addi­ti­on von Tages­sät­zen, die nach der Behand­lungs­pha­se (Inten­siv­sta­ti­on, Nor­mal­sta­ti­on, sta­tio­nä­re Reha-Maß­nah­me, ambu­lan­te Behand­lung zuhau­se, Dau­er­scha­den) und der damit regel­mä­ßig ein­her­ge­hen­den Lebens­be­ein­träch­ti­gung gestaf­felt sind. Das Beru­fungs­ge­richt hat die­se Tages­sät­ze — aus­ge­hend von bestimm­ten Pro­zent­sät­zen eines durch­schnitt­li­chen Ein­kom­mens — für die ver­schie­de­nen Behand­lungs­stu­fen auf 150 € (Inten­siv­sta­ti­on), 100 € (Nor­mal­sta­ti­on), 60 € (sta­tio­nä­re Reha) und 40 € bei 100 % Grad der Schä­di­gungs­fol­gen ange­setzt. In einem zwei­ten Rechen­schritt (Stu­fe II) kön­nen von der zuvor “tag­ge­nau” errech­ne­ten Sum­me je nach Gestal­tung und Schwe­re des Fal­les indi­vi­du­el­le Zu- und Abschlä­ge vor­ge­nom­men wer­den. Das Beru­fungs­ge­richt hat auf die­ser Stu­fe wegen der erheb­li­chen Vor­er­kran­kun­gen des Klä­gers einen Abschlag vor­ge­nom­men. Von der nach der oben auf­ge­führ­ten Metho­de grund­sätz­lich vor­ge­se­he­nen abschlie­ßen­den Erhö­hung des Schmer­zens­gel­des bei Dau­er­schä­den und beson­ders schwer­wie­gen­den Ver­feh­lun­gen des Schä­di­gers (Stu­fe III) hat das Beru­fungs­ge­richt im Streit­fall kei­nen Gebrauch gemacht. 

Mit der vom Beru­fungs­ge­richt inso­weit zuge­las­se­nen Revi­si­on begeh­ren die Beklag­ten die Wie­der­her­stel­lung des land­ge­richt­li­chen Urteils. 

Ent­schei­dung des Bundesgerichtshofs 

Der u.a. für Rechts­strei­tig­kei­ten über Ansprü­che aus Kfz-Unfäl­len zustän­di­ge VI. Zivil­se­nat des Bun­des­ge­richts­hofs hat die Ent­schei­dung des Beru­fungs­ge­richts auf­ge­ho­ben und die Sache zur erneu­ten Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das Beru­fungs­ge­richt zurückverwiesen. 

Maß­ge­bend für die Höhe des Schmer­zens­gel­des sind im Wesent­li­chen die Schwe­re der Ver­let­zun­gen, das durch die­se beding­te Lei­den, des­sen Dau­er, das Aus­maß der Wahr­neh­mung der Beein­träch­ti­gung durch den Ver­letz­ten und der Grad des Ver­schul­dens des Schä­di­gers. Dabei geht es nicht um eine iso­lier­te Schau auf ein­zel­ne Umstän­de des Fal­les, son­dern um eine Gesamt­be­trach­tung aller Umstän­de des Ein­zel­falls. Dabei ist in ers­ter Linie die Höhe und das Maß der ent­stan­de­nen Lebens­be­ein­träch­ti­gung zu berück­sich­ti­gen. Auf der Grund­la­ge die­ser Gesamt­be­trach­tung ist eine ein­heit­li­che Ent­schä­di­gung für das sich ins­ge­samt dar­bie­ten­de Scha­dens­bild fest­zu­set­zen, die sich jedoch nicht streng rech­ne­risch ermit­teln lässt. 

Die­sen Grund­sät­zen wird die vom Beru­fungs­ge­richt vor­ge­nom­me­ne “tag­ge­naue Berech­nung” des Schmer­zens­gel­des nicht gerecht. Die sche­ma­ti­sche Kon­zen­tra­ti­on auf die Anzahl der Tage, die der Klä­ger auf der Nor­mal­sta­ti­on eines Kran­ken­hau­ses ver­bracht hat und die er nach sei­ner Lebens­er­war­tung mit der dau­er­haf­ten Ein­schrän­kung vor­aus­sicht­lich noch wird leben müs­sen, lässt wesent­li­che Umstän­de des kon­kre­ten Fal­les außer Acht. So bleibt unbe­ach­tet, wel­che Ver­let­zun­gen der Klä­ger erlit­ten hat, wie die Ver­let­zun­gen behan­delt wur­den und wel­ches indi­vi­du­el­le Leid bei ihm aus­ge­löst wur­de. Glei­ches gilt für die Ein­schrän­kun­gen in sei­ner zukünf­ti­gen indi­vi­du­el­len Lebens­füh­rung. Auch die Anknüp­fung an die sta­tis­ti­sche Grö­ße des durch­schnitt­li­chen Ein­kom­mens trägt der not­wen­di­gen Ori­en­tie­rung an der gera­de indi­vi­du­ell zu ermit­teln­den Lebens­be­ein­träch­ti­gung des Geschä­dig­ten nicht hin­rei­chend Rech­nung. Das Beru­fungs­ge­richt wird daher erneut über die Höhe des Schmer­zens­gel­des zu befin­den haben. 

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/recht…