BGH, Beschluss vom 29.06.2022, AZ VI ZR 110/21

Aus­ga­be: 06/2022

Sach­ver­halt

Die Klä­ger sind Eigen­tü­mer von inner­halb der Stutt­gar­ter Umwelt- und Lkw-Durch­fahrts­ver­bots­zo­ne gele­ge­nen Grund­stü­cken an bzw. in unmit­tel­ba­rer Nähe der H. Stra­ße. Sie machen gel­tend, die Beklag­te, die eine Spe­di­ti­on betreibt, ver­sto­ße mehr­mals täg­lich gegen das Durch­fahrts­ver­bot, indem sie das Gebiet mit Lkw befah­re, und neh­men die Beklag­te des­halb unter Beru­fung auf die mit der Fein­staub- und Stick­oxid­be­las­tung ver­bun­de­ne Gesund­heits­ge­fähr­dung auf Unter­las­sung des Befah­rens der H. Stra­ße in Anspruch.

Bis­he­ri­ger Prozessverlauf 

Das Amts­ge­richt hat die Kla­ge abge­wie­sen. Die Beru­fung der Klä­ger ist vor dem Land­ge­richt erfolg­los geblie­ben. Dage­gen haben die Klä­ger die vom Land­ge­richt zuge­las­se­ne Revi­si­on ein­ge­legt und ihr Kla­ge­be­geh­ren weiterverfolgt. 

Ent­schei­dung des Senats: 

Der unter ande­rem für das Recht der uner­laub­ten Hand­lun­gen zustän­di­ge VI. Zivil­se­nat hat die Revi­si­on zurück­ge­wie­sen. Den Klä­gern steht der gel­tend gemach­te Unter­las­sungs­an­spruch unter kei­nem recht­li­chen Gesichts­punkt zu. 

Die Klä­ger wen­den sich nicht gegen die Beur­tei­lung des Land­ge­richts, wonach sich das Unter­las­sungs­be­geh­ren nicht auf § 1004 Abs. 1 i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB auf­grund einer Gesund­heits­ver­let­zung stüt­zen lässt. Die­se Beur­tei­lung ist recht­lich auch nicht zu bean­stan­den. Sie neh­men auch die Annah­me des Land­ge­richts hin, dass der Beklag­ten auf der Grund­la­ge des klä­ge­ri­schen Vor­trags kei­ne wesent­li­che Beein­träch­ti­gung der Benut­zung der klä­ge­ri­schen Grund­stü­cke im Sin­ne des § 906 BGB zuzu­rech­nen ist. Auch inso­weit sind Rechts­feh­ler des Land­ge­richts nicht ersicht­lich. Damit schei­det ein auf die Eigen­tü­merstel­lung der Klä­ger gestütz­ter Unter­las­sungs­an­spruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 906 BGB eben­falls aus. 

Ein Unter­las­sungs­an­spruch ana­log § 823 Abs. 2 i.V.m. § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB wegen der Ver­let­zung eines Schutz­ge­set­zes steht den Klä­gern auch bei einem unter­stell­ten Ver­stoß von Mit­ar­bei­tern der Beklag­ten gegen das Lkw-Durch­fahrts­ver­bot nicht zu. Das auf der Grund­la­ge von § 40 Abs. 1 Satz 1 BIm­SchG in Ver­bin­dung mit dem Luft­rei­ne­hal­te­plan für die Lan­des­haupt­stadt Stutt­gart ange­ord­ne­te Durch­fahrts­ver­bot ist kein Schutz­ge­setz im Sin­ne des § 823 Abs. 2 BGB zuguns­ten der ein­zel­nen Anwoh­ner inner­halb der Durch­fahrts­ver­bots­zo­ne, das es die­sen ermög­licht, dem Ver­bot Zuwi­der­han­deln­de zivil­recht­lich auf Unter­las­sung in Anspruch zu nehmen.
Eine Rechts­norm ist ein Schutz­ge­setz im Sin­ne des § 823 Abs. 2 BGB, wenn sie zumin­dest auch dazu die­nen soll, den Ein­zel­nen oder ein­zel­ne Per­so­nen­krei­se gegen die Ver­let­zung eines bestimm­ten Rechts­gu­tes oder eines bestimm­ten Rechts­in­ter­es­ses zu schüt­zen. Dafür kommt es nicht auf die Wir­kung, son­dern auf Inhalt, Zweck und Ent­ste­hungs­ge­schich­te des Geset­zes an, also dar­auf, ob der Gesetz­ge­ber bei Erlass des Geset­zes gera­de einen Rechts­schutz, wie er wegen der behaup­te­ten Ver­let­zung in Anspruch genom­men wird, zuguns­ten von Ein­zel­per­so­nen oder bestimm­ten Per­so­nen­krei­sen gewollt oder doch mit­ge­wollt hat. Es reicht nicht aus, dass der Indi­vi­du­al­schutz durch Befol­gung der Norm als Reflex objek­tiv erreicht wer­den kann; er muss viel­mehr im Auf­ga­ben­be­reich der Norm liegen. 

Im Streit­fall wur­de das Lkw-Durch­fahrts­ver­bot nicht für bestimm­te Stra­ßen zur Redu­zie­rung der die dor­ti­gen Anlie­ger beein­träch­ti­gen­den Schad­stoff­kon­zen­tra­tio­nen, son­dern grund­sätz­lich für das gesam­te Stadt­ge­biet ange­ord­net, um all­ge­mein die Luft­qua­li­tät zu ver­bes­sern und der Über­schrei­tung von Immis­si­ons­grenz­wer­ten ent­ge­gen­zu­wir­ken. Die Klä­ger sind inso­weit nur als Teil der All­ge­mein­heit begüns­tigt. Bereits dies spricht gegen die Annah­me, ein Schutz von Ein­zel­in­ter­es­sen in der von den Klä­gern begehr­ten Wei­se sei Inten­ti­on des streit­ge­gen­ständ­li­chen Lkw-Durch­fahrts­ver­bots. Unter dem poten­ti­ell dritt­schüt­zen­den Aspekt des Gesund­heits­schut­zes käme auch ein Unter­las­sungs­an­spruch des Ein­zel­nen hin­sicht­lich des Befah­rens der gesam­ten Ver­bots­zo­ne nicht in Betracht. Denn schon ange­sichts der Grö­ße der Ver­bots­zo­ne kann nicht ange­nom­men wer­den, dass die an einer belie­bi­gen Stel­le der Ver­bots­zo­ne durch Kraft­fahr­zeu­ge ver­ur­sach­ten Immis­sio­nen für jeden Anlie­ger inner­halb die­ser Zone die unmit­tel­ba­re Gefahr einer Über­schrei­tung der Immis­si­ons­grenz­wer­te an sei­nem gewöhn­li­chen Auf­ent­halts­ort und damit eine poten­ti­el­le Gesund­heits­be­ein­träch­ti­gung ver­ur­sa­chen. Im Ergeb­nis lässt sich daher im Streit­fall kein Per­so­nen­kreis bestim­men, der durch das Lkw-Durch­fahrts­ver­bot sei­nem Zweck ent­spre­chend im Wege der Ein­räu­mung eines indi­vi­du­el­len delik­ti­schen Unter­las­sungs­an­spruchs bei Ver­stö­ßen gegen das Ver­bot geschützt wer­den soll­te. Es ist nichts ersicht­lich dafür, dass § 40 Abs. 1 Satz 1 BIm­SchG i.V.m. der streit­ge­gen­ständ­li­chen Plan­maß­nah­me einen Anspruch auf Norm­voll­zug zwi­schen ein­zel­nen Bür­gern begrün­den will. 

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/recht…