BGH, Beschluss vom 28.02.2022, AZ VII ZR 303/20

Aus­ga­be: 01/02–2022

Der unter ande­rem für Scha­dens­er­satz­an­sprü­che aus uner­laub­ten Hand­lun­gen, die den Vor­wurf einer unzu­läs­si­gen Abschalt­ein­rich­tung bei einem Kraft­fahr­zeug mit Die­sel­mo­tor zum Gegen­stand haben, zustän­di­ge VII. Zivil­se­nat hat­te erneut dar­über zu ent­schei­den, ob die Ver­jäh­rungs­frist für Scha­dens­er­satz­an­sprü­che des Fahr­zeug­käu­fers gegen die Volks­wa­gen AG durch die Anmel­dung der klä­ge­ri­schen Ansprü­che zum Kla­ge­re­gis­ter der am OLG Braun­schweig geführ­ten Mus­ter­fest­stel­lungs­kla­ge gehemmt wurde. 

Sach­ver­halt:

Der Klä­ger nimmt die beklag­te Volks­wa­gen AG wegen der Ver­wen­dung einer unzu­läs­si­gen Abschalt­ein­rich­tung auf Scha­dens­er­satz in Anspruch. 

Der Klä­ger erwarb 2011 bei einer Kfz-Händ­le­rin ein von der Beklag­ten her­ge­stell­tes Neu­fahr­zeug VW Golf VI 2.0 TDI zu einem Preis von 22.607 €. In dem mit einem Die­sel­mo­tor des Typs EA 189 (EU 5) aus­ge­stat­te­ten Fahr­zeug war eine Motor­steue­rungs­soft­ware ver­baut, durch die auf dem Prüf­stand bes­se­re Stick­oxid­wer­te erzielt wur­den als im rea­len Fahrbetrieb. 

Mit sei­ner im Okto­ber 2019 ein­ge­gan­ge­nen Kla­ge hat der Klä­ger im Wesent­li­chen die Erstat­tung des Kauf­prei­ses abzüg­lich einer Nut­zungs­ent­schä­di­gung sowie die Zah­lung von Zin­sen Zug um Zug gegen Über­eig­nung und Her­aus­ga­be des Fahr­zeugs, die Fest­stel­lung des Annah­me­ver­zugs der Beklag­ten sowie den Ersatz vor­ge­richt­li­cher Rechts­an­walts­kos­ten ver­langt. Die Beklag­te hat unter ande­rem die Ein­re­de der Ver­jäh­rung erho­ben. Der Klä­ger behaup­tet, er habe sich im Dezem­ber 2018 zur Mus­ter­fest­stel­lungs­kla­ge an- und im Sep­tem­ber 2019 wie­der abgemeldet. 

Bis­he­ri­ger Prozessverlauf: 

Das Land­ge­richt hat der Kla­ge über­wie­gend statt­ge­ge­ben, das Ober­lan­des­ge­richt hat sie auf die Beru­fung der Beklag­ten abge­wie­sen und die Beru­fung des Klä­gers zurück­ge­wie­sen. Einem Anspruch des Klä­gers auf Scha­dens­er­satz wegen vor­sätz­li­cher sit­ten­wid­ri­ger Schä­di­gung ste­he die von der Beklag­ten erho­be­ne Ver­jäh­rungs­ein­re­de ent­ge­gen. Es sei kei­ne Hem­mung der Ver­jäh­rung vor Ablauf der drei­jäh­ri­gen Ver­jäh­rungs­frist erfolgt, die nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB mit dem Schluss des Jah­res 2015 in Gang gesetzt wor­den sei. Die recht­zei­ti­ge Anmel­dung zum Kla­ge­re­gis­ter der Mus­ter­fest­stel­lungs­kla­ge noch im Jahr 2018 habe der Klä­ger nicht bewie­sen. Eine Anmel­dung zum Kla­ge­re­gis­ter erst nach Ablauf der Ver­jäh­rungs­frist wir­ke nicht auf den Zeit­punkt der Erhe­bung der Mus­ter­fest­stel­lungs­kla­ge zurück. Mit der vom Beru­fungs­ge­richt zuge­las­se­nen Revi­si­on hat der Klä­ger sein Kla­ge­be­geh­ren weiterverfolgt. 

Ent­schei­dung des Bundesgerichtshofs: 

Der VII. Zivil­se­nat des Bun­des­ge­richts­hofs hat das Urteil des Beru­fungs­ge­richts auf­ge­ho­ben und die Sache zur erneu­ten Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das Beru­fungs­ge­richt zurück­ver­wie­sen. Mit der vom Beru­fungs­ge­richt gege­be­nen Begrün­dung kann die Kla­ge nicht wegen Ver­jäh­rung abge­wie­sen werden. 

Aller­dings muss­te die Beklag­te, wie das Beru­fungs­ge­richt rechts­feh­ler­frei ange­nom­men hat, die von ihr erst­in­stanz­lich erho­be­ne Ein­re­de der Ver­jäh­rung in der Beru­fungs­in­stanz nicht wie­der­ho­len. Für die Annah­me eines dies­be­züg­lich unter­las­se­nen Beru­fungs­an­griffs oder gar eines Ver­zichts der Beklag­ten auf die­se Ein­re­de ist im Streit­fall kein Raum. Abge­se­hen davon, dass das Beru­fungs­ge­richt unan­ge­grif­fen fest­ge­stellt hat, die Beklag­te habe zur Begrün­dung ihrer Beru­fung auch die Ver­jäh­rung eines etwa bestehen­den Anspruchs vor­ge­bracht, gelangt nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ge­richts­hofs mit der zuläs­si­gen Beru­fung grund­sätz­lich auch die erst­in­stanz­lich erho­be­ne Ver­jäh­rungs­ein­re­de ohne Wie­der­ho­lung in der Beru­fungs­be­grün­dung in die Berufungsinstanz. 

Die Revi­si­on hat aber erfolg­reich die Annah­me des Beru­fungs­ge­richts bean­stan­det, die Ver­jäh­rung der Kla­ge­for­de­rung sei mit dem Schluss des Jah­res 2018 — und daher vor der 2019 erfolg­ten Kla­ge­ein­rei­chung — ein­ge­tre­ten. Auf der Grund­la­ge der bis­he­ri­gen Fest­stel­lun­gen kann die Hem­mung der Ver­jäh­rung durch Anspruchs­an­mel­dung zum Kla­ge­re­gis­ter der gegen die Beklag­te geführ­te Mus­ter­fest­stel­lungs­kla­ge im Jah­re 2018 nicht ver­neint wer­den. Für die Ent­schei­dung des Bun­des­ge­richts­hofs konn­te daher dahin­ste­hen, ob die Ver­jäh­rungs­frist mit dem Schluss des Jah­res 2015 zu lau­fen begon­nen hat. 

Die Hem­mungs­wir­kung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB im Fal­le eines wirk­sam ange­mel­de­ten Anspruchs tritt — wie der Bun­des­ge­richts­hof nach Erlass des Beru­fungs­ur­teils ent­schie­den hat — grund­sätz­lich bereits mit Erhe­bung der Mus­ter­fest­stel­lungs­kla­ge und nicht erst mit wirk­sa­mer Anmel­dung des Anspruchs zur Ein­tra­gung in deren Regis­ter ein, auch wenn die Anspruchs­an­mel­dung selbst erst nach Ablauf der ursprüng­li­chen Ver­jäh­rungs­frist erfolgt (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 — VI ZR 1118/20 Rn. 24 ff.). 

Nach dem revi­si­ons­recht­lich zugrun­de zu legen­den Klä­ger­vor­trag wur­de vor Ablauf des Jah­res 2018 eine Mus­ter­fest­stel­lungs­kla­ge gegen die Beklag­te erho­ben, hat der Klä­ger die streit­ge­gen­ständ­li­chen Ansprü­che jeden­falls ab Beginn des Jah­res 2019 wirk­sam zur Ein­tra­gung im ent­spre­chen­den Kla­ge­re­gis­ter ange­mel­det (§ 608 ZPO) und liegt den Ansprü­chen der­sel­be Lebens­sach­ver­halt zugrun­de wie den Fest­stel­lungs­zie­len der Mus­ter­fest­stel­lungs­kla­ge. Unter die­sen Vor­aus­set­zun­gen war die Erhe­bung der Mus­ter­fest­stel­lungs­kla­ge gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB grund­sätz­lich geeig­net, die Ver­jäh­rung der klä­ge­ri­schen Ansprü­che zu hem­men, und zwar auch dann, wenn — wie vom Beru­fungs­ge­richt ange­nom­men — eine Anmel­dung zum Kla­ge­re­gis­ter noch im Jahr 2018 nicht bewie­sen ist. Der Klä­ger hat nach Rück­nah­me der Anmel­dung zudem auf der Grund­la­ge einer von ihm zweit­in­stanz­lich vor­ge­leg­ten Urkun­de inner­halb der Sechs-Monats-Frist des § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB die vor­lie­gen­de Indi­vi­dual­kla­ge erhoben. 

Dem Klä­ger ist es nicht ver­wehrt, sich auf die Hem­mung der Ver­jäh­rung zu beru­fen. Der Hem­mungs­tat­be­stand des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB fin­det grund­sätz­lich auch dann Anwen­dung, wenn der Gläu­bi­ger sei­ne Anmel­dung zum Kla­ge­re­gis­ter im wei­te­ren Ver­lauf des Mus­ter­fest­stel­lungs­ver­fah­rens wie­der zurück­nimmt, um im Anschluss Indi­vi­dual­kla­ge zu erhe­ben. Der Gesetz­ge­ber hat dem Gläu­bi­ger bewusst die Mög­lich­keit der Abmel­dung vom Kla­ge­re­gis­ter bis zu dem in § 608 Abs. 3 ZPO gere­gel­ten Zeit­punkt und der anschlie­ßen­den Gel­tend­ma­chung der Ansprü­che im Wege der Indi­vi­dual­kla­ge ein­ge­räumt und für die­sen Fall eine spe­zi­fi­sche Rege­lung über eine nach­lau­fen­de sechs­mo­na­ti­ge Ver­jäh­rungs­hem­mung getrof­fen (§ 204 Abs. 2 Satz 2 BGB). Nutzt der Gläu­bi­ger die­se ihm aus­drück­lich ein­ge­räum­te Mög­lich­keit der Anmel­dungs­rück­nah­me, han­delt es sich daher grund­sätz­lich um einen ein­fa­chen Rechts­ge­brauch und nicht um einen Rechts­miss­brauch (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 — VI ZR 1118/20 Rn. 39 ff.; Urteil vom 19. Okto­ber 2021 — VI ZR 189/20 Rn. 16). Die Umstän­de des Streit­fal­les gaben kei­nen Anlass, hier­von abzuweichen. 

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/recht…