BGH, Beschluss vom 29.06.2022, AZ VIa ZR 418/21

Aus­ga­be: 06/2022

Der vom Prä­si­di­um des Bun­des­ge­richts­hofs vor­über­ge­hend als Hilfs­spruch­kör­per ein­ge­rich­te­te VIa. Zivil­se­nat (vgl. Pres­se­mit­tei­lung Nr. 141/2021 vom 22. Juli 2021) hat heu­te ent­schie­den, dass ein Inkas­so­dienst­leis­ter sich wirk­sam Scha­dens­er­satz­for­de­run­gen abtre­ten las­sen kann, deren sich Schwei­zer Erwer­ber von Kraft­fahr­zeu­gen gegen die beklag­te Volks­wa­gen AG berühmen. 

Sach­ver­halt:

Einer die­ser Erwer­ber, ein Schwei­zer mit Wohn­sitz in der Schweiz, kauf­te – so im Revi­si­ons­ver­fah­ren zu unter­stel­len – im Febru­ar 2015 in der Schweiz von einer Schwei­zer Ver­trags­händ­le­rin der beklag­ten Fahr­zeug­her­stel­le­rin einen VW Tigu­an mit Erst­zu­las­sung 2015. In das Fahr­zeug ist ein Die­sel­mo­tor der Bau­rei­he EA 189 ein­ge­baut. Der Motor war mit einer Soft­ware aus­ge­stat­tet, die erkann­te, ob das Fahr­zeug auf einem Prüf­stand dem Neu­en Euro­päi­schen Fahr­zy­klus (NEFZ) unter­zo­gen wur­de. In die­sem Fall schal­te­te sie vom regu­lä­ren Abgas­rück­füh­rungs­mo­dus 0 in einen Stick­oxid-opti­mier­ten Abgas­rück­füh­rungs­mo­dus 1 (Prüf­stan­d­er­ken­nungs­soft­ware). Es erga­ben sich dadurch auf dem Prüf­stand gerin­ge­re Stick­oxid-Emis­si­ons­wer­te als im nor­ma­len Fahr­be­trieb. Das Kraft­fahrt-Bun­des­amt bewer­te­te die­se Soft­ware als unzu­läs­si­ge Abschalt­ein­rich­tung und ord­ne­te für die betrof­fe­nen Fahr­zeu­ge einen Rück­ruf an. In der Schweiz erließ das Bun­des­amt für Stra­ßen (ASTRA) im Okto­ber 2015 ein vor­läu­fi­ges Zulas­sungs­ver­bot für bestimm­te Fahr­zeu­ge mit Die­sel­mo­to­ren der Bau­rei­he EA 189, von dem das Fahr­zeug des Zeden­ten nicht betrof­fen war. Der Erwer­ber ließ Ende 2016 ein Soft­ware-Update aufspielen. 

Am 18. Dezem­ber 2017 trat der Erwer­ber – so wie­der­um im Revi­si­ons­ver­fah­ren zu unter­stel­len – sei­ne For­de­run­gen gegen die Beklag­te an die Klä­ge­rin, eine nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Rechts­dienst­leis­tungs­ge­setz (RDG) regis­trier­te Inkas­so­dienst­leis­te­rin in der Rechts­form einer in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ansäs­si­gen Gesell­schaft mit beschränk­ter Haf­tung, treu­hän­de­risch zur Ein­zie­hung ab. Die Klä­ge­rin soll­te die For­de­rung zunächst außer­ge­richt­lich gel­tend machen. Im Fal­le des Schei­terns der außer­ge­richt­li­chen Gel­tend­ma­chung soll­te die Klä­ge­rin die Ansprü­che im eige­nem Namen gericht­lich gel­tend machen, wobei ihr im Erfolgs­fall eine Pro­vi­si­on zukom­men soll­te. Der Erwer­ber soll­te für etwai­ge Kos­ten der Rechts­ver­fol­gung nicht auf­kom­men müssen. 

Bis­he­ri­ger Prozessverlauf: 

Die Klä­ge­rin, die sich in über 2000 Fäl­len in ent­spre­chen­der Wei­se For­de­run­gen von Schwei­zer Erwer­bern treu­hän­de­risch zur Ein­zie­hung hat abtre­ten las­sen, hat bei dem Land­ge­richt 2019 eine Kla­ge erho­ben, in der sie sämt­li­che For­de­run­gen zum Gegen­stand von Fest­stel­lungs­be­geh­ren gemacht hat. Das Land­ge­richt hat das Ver­fah­ren die Ansprü­che des einen Erwer­bers betref­fend abge­trennt. Auf rich­ter­li­chen Hin­weis hat die Klä­ge­rin sodann ihren Antrag umge­stellt und die Beklag­te auf Zah­lung eines der Höhe nach in das Ermes­sen des Gerichts gestell­ten Betrags, min­des­tens jedoch CHF 5.394 (15% des Kauf­prei­ses als Min­der­wert) zuzüg­lich Zin­sen ab Über­ga­be des Fahr­zeugs, in Anspruch genom­men. Das Land­ge­richt hat die Kla­ge abge­wie­sen. Das Beru­fungs­ge­richt hat die dage­gen gerich­te­te Beru­fung der Klä­ge­rin zurückgewiesen. 

Zur Begrün­dung hat es aus­ge­führt, der Klä­ge­rin feh­le für die Gel­tend­ma­chung der Scha­dens­er­satz­for­de­rung des Erwer­bers die Aktiv­le­gi­ti­ma­ti­on. Die Klä­ge­rin habe für die Gel­tend­ma­chung der For­de­rung, die Schwei­zer Recht unter­fal­le, einer Erlaub­nis nicht nur – wie vor­han­den – nach § 2 Abs. 2 Satz 1, §§ 3, 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG, son­dern nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RDG bedurft, über die sie nicht ver­fü­ge. Fol­ge des Feh­lens der Erlaub­nis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RDG sei, dass die Klä­ge­rin durch ihr Tätig­wer­den gegen das Rechts­dienst­leis­tungs­ge­setz ver­sto­ßen habe. Die­ser Ver­stoß füh­re nicht nur zur Nich­tig­keit des der Abtre­tung zugrun­de­lie­gen­den schuld­recht­li­chen Dienst­leis­tungs­ver­trags mit dem Zeden­ten, son­dern auch zur Nich­tig­keit der Forderungsabtretung. 

Ent­schei­dung des Bundesgerichtshofs: 

Die vom Beru­fungs­ge­richt zuge­las­se­ne Revi­si­on der Klä­ge­rin hat­te Erfolg. 

Der Bun­des­ge­richts­hof hat anhand einer am Wort­laut, an der Sys­te­ma­tik und an Sinn und Zweck des Rechts­dienst­leis­tungs­ge­set­zes sowie an der Gesetz­ge­bungs­ge­schich­te ori­en­tier­ten Aus­le­gung klar­ge­stellt, dass ein nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG regis­trier­ter Inkas­so­dienst­leis­ter auch dann kei­ner wei­te­ren Erlaub­nis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RDG bedarf, wenn er eine ihm treu­hän­de­risch über­tra­ge­ne und einem aus­län­di­schen Sach­recht unter­fal­len­de For­de­rung außer­ge­richt­lich gel­tend macht. Dabei hat der Bun­des­ge­richts­hof die Ent­schei­dun­gen des VIII. Zivil­se­nats vom 27. Novem­ber 2019 (VIII ZR 285/18, BGHZ 224, 89, vgl. Pres­se­mit­tei­lung Nr. 153/2019) und des II. Zivil­se­nats vom 13. Juli 2021 (II ZR 84/20, BGHZ 230, 255, vgl. Pres­se­mit­tei­lung Nr. 127/2021) berück­sich­tigt. Dar­über hin­aus hat der Bun­des­ge­richts­hof ent­schie­den, dass das Abhän­gig­ma­chen der Tätig­keit der Klä­ge­rin von einer zusätz­li­chen Erlaub­nis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RDG zur Errei­chung des Schutz­zwecks des Rechts­dienst­leis­tungs­ge­set­zes nicht erfor­der­lich ist. 

Weil sich schon des­halb die Auf­fas­sung des Beru­fungs­ge­richts als rechts­feh­ler­haft erwies, der Klä­ge­rin feh­le wegen einer aus einem Ver­stoß gegen das Rechts­dienst­leis­tungs­ge­setz fol­gen­den Nich­tig­keit der Abtre­tung die Aktiv­le­gi­ti­ma­ti­on, hat der Bun­des­ge­richts­hof das Beru­fungs­ur­teil auf­ge­ho­ben und die Sache zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das Beru­fungs­ge­richt zurück­ver­wie­sen. Das Beru­fungs­ge­richt wird sich nun­mehr mit der inhalt­li­chen Berech­ti­gung der For­de­rung des Zeden­ten zu befas­sen haben. 

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/recht…