BGH, Beschluss vom 29.09.2021, AZ VII ZR 192/20

Aus­ga­be: 8/9–2021

Der unter ande­rem für Scha­dens­er­satz­an­sprü­che aus uner­laub­ten Hand­lun­gen, die den Vor­wurf einer unzu­läs­si­gen Abschalt­ein­rich­tung bei einem Kraft­fahr­zeug mit Die­sel­mo­tor zum Gegen­stand haben, zustän­di­ge VII. Zivil­se­nat hat heu­te über Scha­dens­er­satz­an­sprü­che wegen des Lea­sings und anschlie­ßen­den Kaufs eines von der beklag­ten Audi AG her­ge­stell­ten Fahr­zeugs entschieden. 

Sach­ver­halt:

Der Klä­ger leas­te ab Juni 2009 für vier Jah­re von der Volks­wa­gen Lea­sing GmbH einen neu­en Audi Q5. Er leis­te­te monat­li­che Lea­sing­ra­ten in Höhe von 437 € und eine Lea­sing­son­der­zah­lung in Höhe von 5.000 €. Im Mai 2013 erwarb er das Fahr­zeug bei einem Kilo­me­ter­stand von 80.000 für 25.680,74 € von einem Drit­ten. Bei einem Kilo­me­ter­stand von 170.000 erlitt das Fahr­zeug einen Motor­scha­den und wur­de seit­dem nicht mehr bewegt. 

Das Fahr­zeug ist mit einem Die­sel­mo­tor des Typs EA189 aus­ge­stat­tet. Die­ser ver­füg­te über eine Motor­steue­rungs­soft­ware, die erkann­te, ob das Fahr­zeug auf einem Prüf­stand den Neu­en Euro­päi­schen Fahr­zy­klus (NEFZ) durch­lief, und in die­sem Fall eine höhe­re Abgas­rück­füh­rungs­ra­te und einen gerin­ge­ren Stick­oxid­aus­stoß als im Nor­mal­be­trieb bewirkte. 

Der Klä­ger ver­langt von der Beklag­ten im Wesent­li­chen die Erstat­tung sei­ner für das Lea­sing und den Kauf gezahl­ten Beträ­ge abzüg­lich einer Nut­zungs­ent­schä­di­gung, Zug um Zug gegen Über­ga­be und Über­eig­nung des Fahr­zeugs. Die Beklag­te erstrebt die voll­stän­di­ge Klageabweisung. 

Bis­he­ri­ger Prozessverlauf: 

Die Kla­ge hat­te in den Vor­in­stan­zen teil­wei­se Erfolg. Das Beru­fungs­ge­richt hat dem Klä­ger gegen die Beklag­te einen Scha­dens­er­satz­an­spruch aus sit­ten­wid­ri­ger vor­sätz­li­cher Schä­di­gung gemäß §§ 826, 31 BGB zuer­kannt, soweit er sei­ne Ansprü­che auf den Abschluss des Kauf­ver­trags im Mai 2013 stützt. Der Klä­ger habe Anspruch auf Erstat­tung des Kauf­prei­ses zuzüg­lich ver­schie­de­ner Auf­wen­dun­gen abzüg­lich einer Nut­zungs­ent­schä­di­gung für die seit dem Kauf gefah­re­nen 90.000 Kilo­me­ter, Zug um Zug gegen Über­eig­nung des Fahr­zeugs. Hin­ge­gen kön­ne er nicht Erstat­tung der auf­grund des Lea­sing­ver­trags geleis­te­ten Zah­lun­gen in Höhe von ins­ge­samt 25.976 € ver­lan­gen. Ein etwa­iger Anspruch schei­te­re jeden­falls dar­an, dass der gege­be­nen­falls anzu­rech­nen­de Nut­zungs­vor­teil der Höhe nach den Lea­sing­zah­lun­gen entspreche. 

Ent­schei­dung des Bundesgerichtshofs: 

Die Revi­si­on der Beklag­ten war begrün­det und führ­te inso­weit zur Auf­he­bung des Beru­fungs­ur­teils und zur Zurück­ver­wei­sung der Sache an das Beru­fungs­ge­richt. Mit der vom Beru­fungs­ge­richt gege­be­nen Begrün­dung kön­nen Ansprü­che des Klä­gers gegen die Beklag­te wegen sit­ten­wid­ri­ger vor­sätz­li­cher Schä­di­gung gemäß §§ 826, 31 BGB nicht bejaht wer­den. Das Beru­fungs­ge­richt hat nicht rechts­feh­ler­frei fest­ge­stellt, dass ein ver­fas­sungs­mä­ßig beru­fe­ner Ver­tre­ter der Beklag­ten im Sin­ne von § 31 BGB die objek­ti­ven und sub­jek­ti­ven Tat­be­stands­vor­aus­set­zun­gen des § 826 BGB ver­wirk­licht hat. Das Beru­fungs­ge­richt hat eine soge­nann­te sekun­dä­re Dar­le­gungs­last der Beklag­ten zu unter­neh­mens­in­ter­nen Vor­gän­gen ange­nom­men, die auf eine Kennt­nis ihrer ver­fas­sungs­mä­ßi­gen Ver­tre­ter von der Ver­wen­dung der unzu­läs­si­gen Abschalt­ein­rich­tung schlie­ßen las­sen sol­len. Aus dem der Beur­tei­lung des Bun­des­ge­richts­hofs unter­lie­gen­den Ver­fah­rens­stoff erga­ben sich indes kei­ne hin­rei­chen­den Anhalts­punk­te, die einen sol­chen Schluss nahe­le­gen. Das Beru­fungs­ge­richt wird daher erneut Fest­stel­lun­gen zur Fra­ge einer unmit­tel­ba­ren delikt­i­schen Haf­tung der Beklag­ten zu tref­fen haben. 

Die Revi­si­on des Klä­gers, mit der er in ers­ter Linie gel­tend mach­te, das Beru­fungs­ge­richt habe den wäh­rend der Lea­sing­zeit erlang­ten Nut­zungs­vor­teil zu hoch bewer­tet, war dage­gen unbe­grün­det. Die Annah­me des Beru­fungs­ge­richts, ein Anspruch des Klä­gers auf Erstat­tung der Lea­sing­ra­ten bestehe nicht, weil der Wert der wäh­rend der Lea­sing­zeit erlang­ten Nut­zungs­vor­tei­le der Höhe nach den Lea­sing­zah­lun­gen ent­spre­che, ließ — eine Haf­tung der Beklag­ten dem Grun­de nach unter­stellt — kei­ne Rechts­feh­ler erken­nen. Aus den beru­fungs­ge­richt­li­chen Fest­stel­lun­gen erga­ben sich kei­ne Anhalts­punk­te, dass bereits bei Abschluss des Lea­sing­ver­trags ein spä­te­rer Erwerb des Fahr­zeug­ei­gen­tums durch den Klä­ger ver­ein­bart wor­den wäre. Jeden­falls vor die­sem Hin­ter­grund war die Annah­me des Beru­fungs­ge­richts, der Klä­ger habe mit dem Abschluss des Lea­sing­ver­trags eine vom Kauf grund­ver­schie­de­ne Inves­ti­ti­ons­ent­schei­dung getrof­fen, die es recht­fer­ti­ge, den anzu­rech­nen­den Nut­zungs­vor­teil anders als beim Kauf zu bestim­men, nicht zu beanstanden. 

Nach der in der ober­ge­richt­li­chen Recht­spre­chung vor­herr­schen­den Auf­fas­sung ent­spricht im Rah­men der delikt­i­schen Vor­teils­aus­glei­chung der Wert der wäh­rend der Lea­sing­zeit erlang­ten Nut­zungs­vor­tei­le eines Kraft­fahr­zeugs der Höhe nach den ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Lea­sing­zah­lun­gen. Die­ser Ansicht gebührt der Vor­zug vor der Gegen­mei­nung, die auch beim Lea­sing die Nut­zungs­vor­tei­le im Rah­men des Vor­teils­aus­gleichs nach der für den Fahr­zeug­kauf aner­kann­ten Berech­nungs­for­mel (Fahr­zeug­preis mal Fahr­stre­cke geteilt durch Lauf­leis­tungs­er­war­tung) vor­neh­men möch­te. Ob eine ande­re Betrach­tung dann gebo­ten ist, wenn auf­grund der Ver­trags­ge­stal­tung von vorn­her­ein fest­steht, dass der Lea­sing­neh­mer das Fahr­zeug nach Ablauf der Lea­sing­zeit über­nimmt, konn­te hier dahinstehen. 

Der Käu­fer eines Fahr­zeugs erwirbt die Mög­lich­keit, das Fahr­zeug ohne zeit­li­che Begren­zung über die gesam­te Lauf­leis­tung — bis zum Ein­tritt der Gebrauchs­un­taug­lich­keit — zu nut­zen. Kauf­preis­zah­lung und Gesamt­nut­zung ste­hen sich “kon­gru­ent” und daher anre­chen­bar gegen­über; sie sind bei wer­ten­der Betrach­tung gewis­ser­ma­ßen zu einer Rech­nungs­ein­heit ver­bun­den. Der Lea­sing­neh­mer hin­ge­gen erwirbt die Mög­lich­keit, das Fahr­zeug über einen kon­kre­ten Zeit­raum zu bestimm­ten, mit dem Lea­sing­ge­ber ver­ein­bar­ten Bedin­gun­gen zu nut­zen. Die­se beson­de­re Art der Fahr­zeug­nut­zung hat einen eige­nen, grund­sätz­lich zeit­raum­be­zo­ge­nen Wert, der den Lea­sing­zah­lun­gen anre­chen­bar gegen­über­steht und für den der ver­ein­bar­te Lea­sing­preis einen taug­li­chen Anhalts­punkt bil­det. Das ent­spricht dem Grund­satz, dass der objek­ti­ve Wert eines her­aus­zu­ge­ben­den Gebrauchs­vor­teils regel­mä­ßig anhand des markt­üb­li­chen Prei­ses einer ver­trag­li­chen Gebrauchs­ge­stat­tung zu bemes­sen ist, sofern nicht die Her­aus­ga­benorm eine ande­re Bewer­tung erfor­dert, wie es ins­be­son­de­re bei der Rück­ab­wick­lung eines Kauf­ver­trags der Fall ist. Kann der Lea­sing­neh­mer das Fahr­zeug — wie hier der Klä­ger — über die gesam­te Lea­sing­zeit ohne wesent­li­che Ein­schrän­kung nut­zen, hat er den Vor­teil, auf den der Abschluss des Lea­sing­ver­trags gerich­tet war, in vol­lem Umfang rea­li­siert. Der Vor­teil kom­pen­siert in die­sem Fall den gesam­ten mit den Lea­sing­zah­lun­gen ver­bun­de­nen finan­zi­el­len Nach­teil. Dies ent­spricht der Situa­ti­on eines Fahr­zeug­käu­fers, der die Lauf­leis­tungs­er­war­tung des Fahr­zeugs aus­ge­schöpft hat. 

Anhalts­punk­te dafür, dass der objek­ti­ve Lea­sing­wert gerin­ger gewe­sen wäre als der zwi­schen dem Klä­ger und der Lea­sing­ge­be­rin ver­ein­bar­te Lea­sing­preis, bestan­den nicht. Nach den Fest­stel­lun­gen des Beru­fungs­ge­richts ent­spra­chen die Lea­sing­ra­ten den übli­chen Lea­sing­ge­büh­ren und der Klä­ger hät­te beim Lea­sing eines gleich­wer­ti­gen Fahr­zeugs ent­spre­chen­de Zah­lun­gen erbrin­gen müs­sen. Der Lea­sing­preis ist für die Vor­teils­an­rech­nung nicht um die dar­in ent­hal­te­nen Finan­zie­rungs­kos­ten, den Gewinn des Lea­sing­ge­bers oder ande­re Neben­kos­ten zu kür­zen. Sol­che Kos­ten lie­gen in der Natur des Lea­sing­ver­trags und flie­ßen in den objek­ti­ven Wert der lea­sing­mä­ßi­gen Fahr­zeug­nut­zung ein. 

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/recht…