(Kiel) Eine Software für Dieselfahrzeuge, die die Wirkung des Emissionskontrollsystems bei üblichen Temperaturen und während des überwiegenden Teils des Jahres verringert, stellt eine unzulässige Abschalteinrichtung dar! 

Da eine solche Vertragswidrigkeit des Fahrzeugs nicht geringfügig ist, ist die Auflösung des Vertrags über den Fahrzeugkauf nicht grundsätzlich ausgeschlossen. 

Darauf verweist der Limburger Fachanwalt für Verkehrsrecht Klaus Schmidt-Strunk, Vizepräsident des VdVKA – Verband deutscher VerkehrsrechtsAnwälte e. V. mit Sitz in Kiel, unter Hinweis auf die Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14.07.2022 – Urteile des Gerichtshofs in den Rechtssachen C-128/20 | GSMB Invest, C-134/20 Volkswagen und C-145/20 | Porsche Inter Auto und Volkswagen.

Käufer von Fahrzeugen der Marke Volkswagen mit einer Software, durch die die Abgasrückführung des Fahrzeugs nach Maßgabe insbesondere der ermittelten Temperatur verringert wird, klagen vor österreichischen Gerichten auf Aufhebung ihrer zwischen 2011 und 2013 geschlossenen Kaufverträge.

Nach den Angaben dieser Gerichte gewährleistet diese Software die Einhaltung der auf Unionsebene festgelegten Grenzwerte für Stickstoffoxid (NOx) – Emissionen nur, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt (im Folgenden: Thermofenster). Außerhalb dieses Fensters wird die Abgasrückführungsquote linear auf 0 gesenkt, was zu einer Überschreitung der Grenzwerte führt.

Dieses Thermofenster resultiert aus einem Update der Software der fraglichen Fahrzeuge, das von Volkswagen zum Austausch einer unionsrechtswidrigen Software vorgenommen wurde. Das deutsche Kraftfahrt-Bundesamt hatte eine Genehmigung für dieses Update erteilt, nachdem es zum Ergebnis gekommen war, dass dieses keine unzulässige Abschalteinrichtung enthalte.

Der österreichische Oberste Gerichtshof, das Landesgericht Eisenstadt und das Landesgericht Klagenfurt haben dem Gerichtshof mehrere Fragen zur Zulässigkeit eines solchen Thermofensters und zu etwaigen Ansprüchen der Kläger vorgelegt, soweit es sich nach der europäischen Regelung, die zu dem für die Sachverhalte maßgeblichen Zeitpunkt galt, um Verbraucher handelt.

Mit seinen heutigen Urteilen entscheidet der Gerichtshof, dass eine Einrichtung, die die Einhaltung der Grenzwerte für Stickstoffoxidemissionen nur innerhalb des Thermofensters gewährleistet, eine nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 grundsätzlich unzulässige Abschalteinrichtung darstellt.

Der Gerichtshof weist insoweit zum einen darauf hin, dass Umgebungstemperaturen von weniger als 15 Grad Celsius im Unionsgebiet üblich sind. Zum anderen sind die auf Unionsebene festgelegten Emissionsgrenzwerte auch dann einzuhalten, wenn die Temperaturen deutlich unter 15 Grad Celsius liegen. Daher schränkt eine Software wie die in Rede stehende die Wirkung des Emissionskontrollsystems bei normalen Nutzungsbedingungen ein.

Der alleinige Umstand, dass diese Einrichtung zur Schonung von Anbauteilen wie Abgasrückführventil, AGR-Kühler und Dieselpartikelfilter beiträgt, die vom Motor getrennt sind, macht sie deshalb noch nicht zulässig.

Anders könnten die Dinge stehen, wenn nachgewiesen wäre, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines dieser Bauteile verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Eine solche Abschalteinrichtung ist nur dann „notwendig“, wenn zum Zeitpunkt der EG-Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung solche Risiken abwenden kann. Es ist Sache der vorlegenden Gerichte zu prüfen, ob dies auf die Abschalteinrichtung, mit der die fraglichen Fahrzeuge ausgestattet sind, zutrifft. Der Gerichtshof weist jedoch in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Ausstattung mit einer Abschalteinrichtung nicht allein deswegen notwendig sein kann, um den Motor vor Verschmutzung und Verschleiß zu schützen.

Selbst wenn die oben beschriebene Notwendigkeit bestünde, ist eine Abschalteinrichtung, wenn sie unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, jedenfalls unzulässig. Ließe man nämlich eine solche Einrichtung zu, könnte das dazu führen, dass diese Ausnahme öfter anwendbar wäre als das Verbot, und brächte somit eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung des Grundsatzes der Begrenzung der Stickstoffoxidemissionen von Fahrzeugen mit sich.

Der Gerichtshof stellt im Übrigen klar, dass der Umstand, dass eine Abschalteinrichtung nach der Inbetriebnahme eines Fahrzeugs eingebaut wurde, für die Beurteilung der Frage, ob die Verwendung dieser Einrichtung unzulässig ist, unerheblich ist.

In Bezug auf die Ansprüche der Verbraucher bei Vertragswidrigkeit des gekauften Verbrauchsgutes sah die europäische Regelung, die zu dem für die Sachverhalte maßgeblichen Zeitpunkt galt, nämlich die Richtlinie 1999/44 3, vor, dass der Verbraucher vom Verkäufer die Nachbesserung des Verbrauchsgutes oder eine Ersatzlieferung verlangen kann, sofern dies nicht unmöglich oder unverhältnismäßig ist. Nur wenn der Verbraucher weder auf die Nachbesserung noch auf die Ersatzlieferung einen Anspruch hat oder wenn der Verkäufer keine dieser Abhilfemaßnahmen binnen einer angemessenen Frist oder ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher durchgeführt hat, kann der Verbraucher eine angemessene Preisminderung oder eine Vertragsauflösung verlangen. Die Vertragsauflösung ist jedoch ausgeschlossen, wenn die Vertragswidrigkeit des Verbrauchsgutes geringfügig ist.

Der Gerichtshof stellt insoweit fest, dass ein Fahrzeug nicht die Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, und somit vertragswidrig ist, wenn dieses Fahrzeug, obwohl es über eine gültige EG-Typgenehmigung verfügt und daher im Straßenverkehr verwendet werden kann, mit einer verbotenen Abschalteinrichtung ausgestattet ist.

Zudem kann eine solche Vertragswidrigkeit nicht als „geringfügig“ eingestuft werden, selbst wenn dieser Verbraucher – falls er von der Existenz und dem Betrieb dieser Einrichtung Kenntnis gehabt hätte – dieses Fahrzeug dennoch gekauft hätte. Folglich ist die Vertragsauflösung nicht grundsätzlich ausgeschlossen.

Schmidt-Strunk empfahl, dies beachten und in derartigen Fällen unbedingt rechtlichen Rat in Anspruch zu nehmen, wobei er dabei u. a. auch auf den VdVKA – Verband deutscher Verkehrsrechtsanwälte e. V. – www.vdvka.de – verwies.

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Klaus Schmidt-Strunk
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Vize-Präsident des VdVKA – Verband Deutscher Verkehrsrechtsanwälte e. V.

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