Pres­se­mit­tei­lung des BGH Nr. 63/2020 vom 25.05.2020

Scha­dens­er­satz­kla­ge im soge­nann­ten “Die­sel­fall”
gegen die VW AG über­wie­gend erfolgreich 

Urteil vom 25. Mai 2020 — VI ZR 252/19

Der unter ande­rem für das Recht der uner­laub­ten Hand­lun­gen zustän­di­ge VI. Zivil­se­nat hat heu­te ent­schie­den, dass dem Käu­fer eines mit einer unzu­läs­si­gen Abschalt­ein­rich­tung ver­se­he­nen Fahr­zeugs Scha­dens­er­satz­an­sprü­che gegen VW zuste­hen. Er kann Erstat­tung des für das Fahr­zeug gezahl­ten Kauf­prei­ses ver­lan­gen, muss sich aber den gezo­ge­nen Nut­zungs­vor­teil anrech­nen las­sen und VW das Fahr­zeug zur Ver­fü­gung stellen.
Sachverhalt:
Der Klä­ger erwarb am 10. Janu­ar 2014 zu einem Preis von 31.490,- € brut­to von einem Auto­händ­ler einen Gebraucht­wa­gen VW Sha­ran 2.0 TDl match, der mit einem 2,0‑Liter Die­sel­mo­tor des Typs EA189, Schad­stoff­norm Euro 5 aus­ge­stat­tet ist. Die Beklag­te ist die Her­stel­le­rin des Wagens. Der Kilo­me­ter­stand bei Erwerb betrug 20.000 km. Für den Fahr­zeug­typ wur­de die Typ­ge­neh­mi­gung nach der Ver­ord­nung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schad­stoff­klas­se Euro 5 erteilt.
Die im Zusam­men­hang mit dem Motor ver­wen­de­te Soft­ware erkennt, ob das Fahr­zeug auf einem Prüf­stand dem Neu­en Euro­päi­schen Fahr­zy­klus (NEFZ) unter­zo­gen wird und schal­tet in die­sem Fall in den Abgas­rück­füh­rungs­mo­dus 1, einen Stick­oxid (NOx)-optimierten Modus. In die­sem Modus fin­det eine Abgas­rück­füh­rung mit nied­ri­gem Stick­oxid­aus­stoß statt. Im nor­ma­len Fahr­be­trieb außer­halb des Prüf­stands schal­tet der Motor dage­gen in den Abgas­rück­füh­rungs­mo­dus 0, bei dem die Abgas­rück­füh­rungs­ra­te gerin­ger und der Stick­oxid­aus­stoß höher ist. Für die Ertei­lung der Typ­ge­neh­mi­gung der Emis­si­ons­klas­se Euro 5 maß­geb­lich war der Stick­oxid­aus­stoß auf dem Prüf­stand. Die Stick­oxid­grenz­wer­te der Euro 5‑Norm wur­den nur im Abgas­rück­füh­rungs­mo­dus 1 eingehalten.
Im Sep­tem­ber 2015 räum­te die Beklag­te öffent­lich die Ver­wen­dung einer ent­spre­chen­den Soft­ware ein. Unter dem 15. Okto­ber 2015 erging gegen sie ein bestands­kräf­ti­ger Bescheid des Kraft­fahrt-Bun­des­amts (KBA) mit nach­träg­li­chen Neben­be­stim­mun­gen zur Typ­ge­neh­mi­gung, der auch das Fahr­zeug des Klä­gers betrifft. Das KBA ging vom Vor­lie­gen einer unzu­läs­si­gen Abschalt­ein­rich­tung aus und gab der Beklag­ten auf, die­se zu besei­ti­gen und die Ein­hal­tung der maß­geb­li­chen Grenz­wer­te ander­wei­tig zu gewähr­leis­ten. Die Beklag­te gab mit Pres­se­mit­tei­lung vom 25. Novem­ber 2015 bekannt, Soft­ware-Updates durch­zu­füh­ren, mit denen die­se Soft­ware aus allen Fahr­zeu­gen mit Moto­ren des Typs EA189 mit 2,0‑Liter-Hubraum ent­fernt wer­den soll­te. Nach der Instal­la­ti­on sol­len die betrof­fe­nen Fahr­zeu­ge nur noch in einem adap­tier­ten Modus 1 betrie­ben wer­den. Der Klä­ger hat das Soft­ware-Update im Febru­ar 2017 durch­füh­ren lassen.
Mit sei­ner Kla­ge ver­langt der Klä­ger im Wesent­li­chen die Zah­lung des für das Fahr­zeug gezahl­ten Kauf­prei­ses in Höhe von 31.490 € nebst Zin­sen Zug um Zug gegen Über­ga­be und Über­eig­nung des Fahrzeugs.
Bis­he­ri­ger Prozessverlauf:
Das Land­ge­richt hat die Kla­ge abge­wie­sen. Auf die Beru­fung des Klä­gers hat das Ober­lan­des­ge­richt unter Zulas­sung der Revi­si­on die Ent­schei­dung des Land­ge­richts abge­än­dert und die Beklag­te nebst Neben­punk­ten in der Haupt­sa­che ver­ur­teilt, an den Klä­ger 25.616,10 € nebst Zin­sen Zug um Zug gegen Über­ga­be und Über­eig­nung des Fahr­zeugs zu zah­len. Wegen des wei­ter­ge­hen­den Zah­lungs­an­spruchs hat es die Kla­ge abgewiesen.
Ent­schei­dung des Senats:
Die zuge­las­se­ne Revi­si­on der Beklag­ten, mit der sie die Kla­ge­ab­wei­sung erstrebt hat, blieb ganz über­wie­gend ohne Erfolg; sie war nur in Bezug auf Neben­punk­te gering­fü­gig erfolg­reich. Die Revi­si­on des Klä­gers, mit der er die voll­stän­di­ge Erstat­tung des Kauf­prei­ses ohne Anrech­nung einer Nut­zungs­ent­schä­di­gung errei­chen woll­te, hat­te kei­nen Erfolg.
Zu Recht hat das Beru­fungs­ge­richt ange­nom­men, dass die Beklag­te dem Klä­ger aus vor­sätz­li­cher sit­ten­wid­ri­ger Schä­di­gung gemäß §§ 826, 31 BGB haf­tet. Das Ver­hal­ten der Beklag­ten im Ver­hält­nis zum Klä­ger ist objek­tiv als sit­ten­wid­rig zu qua­li­fi­zie­ren. Die Beklag­te hat auf der Grund­la­ge einer für ihren Kon­zern getrof­fe­nen grund­le­gen­den stra­te­gi­schen Ent­schei­dung bei der Moto­ren­ent­wick­lung im eige­nen Kos­ten- und damit auch Gewinn­in­ter­es­se durch bewuss­te und gewoll­te Täu­schung des KBA sys­te­ma­tisch, lang­jäh­rig und in Bezug auf den Die­sel­mo­tor der Bau­rei­he EA189 in sie­ben­stel­li­gen Stück­zah­len in Deutsch­land Fahr­zeu­ge in Ver­kehr gebracht, deren Motor­steue­rungs­soft­ware bewusst und gewollt so pro­gram­miert war, dass die gesetz­li­chen Abgas­grenz­wer­te mit­tels einer unzu­läs­si­gen Abschalt­ein­rich­tung nur auf dem Prüf­stand ein­ge­hal­ten wur­den. Damit ging einer­seits eine erhöh­te Belas­tung der Umwelt mit Stick­oxi­den und ande­rer­seits die Gefahr ein­her, dass bei einer Auf­de­ckung die­ses Sach­ver­halts eine Betriebs­be­schrän­kung oder ‑unter­sa­gung hin­sicht­lich der betrof­fe­nen Fahr­zeu­ge erfol­gen könn­te. Ein sol­ches Ver­hal­ten ist im Ver­hält­nis zu einer Per­son, die eines der bema­kel­ten Fahr­zeu­ge in Unkennt­nis der ille­ga­len Abschalt­ein­rich­tung erwirbt, beson­ders ver­werf­lich und mit den grund­le­gen­den Wer­tun­gen der Rechts- und Sit­ten­ord­nung nicht zu ver­ein­ba­ren. Das gilt auch, wenn es sich um den Erwerb eines Gebraucht­fahr­zeugs handelt.
Das Beru­fungs­ge­richt hat vor dem Hin­ter­grund des nicht aus­rei­chen­den Vor­trags der Beklag­ten zu den in ihrem Kon­zern erfolg­ten Vor­gän­gen in nicht zu bean­stan­den­der Wei­se ange­nom­men, dass die grund­le­gen­de stra­te­gi­sche Ent­schei­dung in Bezug auf die Ent­wick­lung und Ver­wen­dung der unzu­läs­si­gen Soft­ware von den im Hau­se der Beklag­ten für die Moto­ren­ent­wick­lung ver­ant­wort­li­chen Per­so­nen, nament­lich dem vor­ma­li­gen Lei­ter der Ent­wick­lungs­ab­tei­lung und den für die For­schungs- und Ent­wick­lungs­ak­ti­vi­tä­ten der Beklag­ten ver­ant­wort­li­chen vor­ma­li­gen Vor­stän­den, wenn nicht selbst, so zumin­dest mit ihrer Kennt­nis und Bil­li­gung getrof­fen bzw. jah­re­lang umge­setzt wor­den ist. Zu Recht hat es die­ses Ver­hal­ten der Beklag­ten zuge­rech­net (§ 31 BGB).
Der Klä­ger ist ver­an­lasst durch das einer arg­lis­ti­gen Täu­schung gleich­ste­hen­de sit­ten­wid­ri­ge Ver­hal­ten der Beklag­ten eine unge­woll­te ver­trag­li­che Ver­pflich­tung ein­ge­gan­gen. Dar­in liegt sein Scha­den, weil er ein Fahr­zeug erhal­ten hat, das für sei­ne Zwe­cke nicht voll brauch­bar war. Er kann daher von der Beklag­ten Erstat­tung des Kauf­prei­ses gegen Über­ga­be des Fahr­zeugs ver­lan­gen. Dabei muss er sich aber die Nut­zungs­vor­tei­le auf der Grund­la­ge der gefah­re­nen Kilo­me­ter anrech­nen las­sen, weil er im Hin­blick auf das scha­dens­er­satz­recht­li­che Berei­che­rungs­ver­bot nicht bes­ser­ge­stellt wer­den darf, als er ohne den unge­woll­ten Ver­trags­schluss stünde.
Die maß­geb­li­chen Vor­schrif­ten lauten:
§ 826 des Bür­ger­li­chen Gesetz­bu­ches (BGB):
Wer in einer gegen die guten Sit­ten ver­sto­ßen­den Wei­se einem ande­ren vor­sätz­lich Scha­den zufügt, ist dem ande­ren zum Ersatz des Scha­dens verpflichtet.
§ 31 des Bür­ger­li­chen Gesetz­bu­ches (BGB):
Der Ver­ein ist für den Scha­den ver­ant­wort­lich, den der Vor­stand, ein Mit­glied des Vor­stands oder ein ande­rer ver­fas­sungs­mä­ßig beru­fe­ner Ver­tre­ter durch eine in Aus­füh­rung der ihm zuste­hen­den Ver­rich­tun­gen began­ge­ne, zum Scha­dens­er­satz ver­pflich­ten­de Hand­lung einem Drit­ten zufügt. 

Vor­in­stan­zen:
Land­ge­richt Bad Kreuz­nach – Urteil vom 5. Okto­ber 2018 – 2 O 250/17
Ober­lan­des­ge­richt Koblenz — Urteil vom 12. Juni 2019 — 5 U 1318/18

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen: https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rech…