BGH, Beschluss vom 29.06.2022, AZ VIa ZR 680/21

Aus­ga­be: 06/2022

Der vom Prä­si­di­um des Bun­des­ge­richts­hofs vor­über­ge­hend als Hilfs­spruch­kör­per ein­ge­rich­te­te VIa. Zivil­se­nat (vgl. Pres­se­mit­tei­lung Nr. 141/2021 vom 22. Juli 2021) hat heu­te dar­über ent­schie­den, unter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen Rest­scha­dens­er­satz bei EU-Reimpor­ten im soge­nann­ten Die­sel­skan­dal zu gewäh­ren ist. 

Sach­ver­halt:

Der Klä­ger nimmt die beklag­te Fahr­zeug­her­stel­le­rin wegen der Ver­wen­dung einer unzu­läs­si­gen Abschalt­ein­rich­tung auf Scha­dens­er­satz in Anspruch. Er bestell­te am 13. August 2014 bei einem deut­schen Händ­ler als EU-Reimport einen Neu­wa­gen des Typs VW Tigu­an zum Preis von 30.000 €. Das Fahr­zeug wur­de dem Klä­ger am 25. Okto­ber 2014 mit einer EG-Über­ein­stim­mungs­be­schei­ni­gung und einer Lauf­leis­tung von 0 km über­ge­ben. Der deut­sche Händ­ler hat­te das Fahr­zeug zuvor von einem Händ­ler in einem ande­ren EU-Mit­glied­staat erhal­ten, der es von der Beklag­ten erwor­ben hatte. 

Die Beklag­te ist Her­stel­le­rin des Fahr­zeugs und des dar­in ver­bau­ten Die­sel­mo­tors der Bau­rei­he EA 189. Der Motor war mit einer Soft­ware aus­ge­stat­tet, die hin­sicht­lich der Abgas­rück­füh­rung zwi­schen Prüf­stand und gewöhn­li­chem Fahr­be­trieb unter­schied, sodass die Emis­si­ons­grenz­wer­te für Stick­oxi­de nur auf dem Prüf­stand ein­ge­hal­ten wur­den. Das Kraft­fahrt-Bun­des­amt (KBA) bean­stan­de­te die Soft­ware im Jahr 2015. Die Beklag­te ent­wi­ckel­te ein Soft­ware-Update, das vom KBA zuge­las­sen wur­de. Die Beklag­te infor­mier­te den Klä­ger im Febru­ar 2016 über die Betrof­fen­heit sei­nes Fahr­zeugs vom soge­nann­ten Die­sel­skan­dal. Im Novem­ber 2016 ließ der Klä­ger das Soft­ware-Update aufspielen. 

Bis­he­ri­ger Prozessverlauf: 

Der Klä­ger hat in ers­ter Instanz bean­tragt, die Beklag­te zur Zah­lung von 30.000 € nebst Zin­sen abzüg­lich einer Nut­zungs­ent­schä­di­gung Zug um Zug gegen Rück­ga­be und Über­eig­nung des Fahr­zeugs sowie zur Erstat­tung von vor­ge­richt­li­chen Rechts­ver­fol­gungs­kos­ten zu ver­ur­tei­len und den Annah­me­ver­zug der Beklag­ten fest­zu­stel­len. Das Land­ge­richt hat die Kla­ge abge­wie­sen. Auf die Beru­fung des Klä­gers, mit der er die Höhe der anzu­rech­nen­den Nut­zungs­ent­schä­di­gung etwas redu­ziert und hilfs­wei­se bean­tragt hat, die Beklag­te zur Zah­lung von 7.500 € ohne Zug-um-Zug-Vor­be­halt zu ver­ur­tei­len, hat das Beru­fungs­ge­richt die Beklag­te unter Zurück­wei­sung des wei­ter­ge­hen­den Rechts­mit­tels gemäß dem Hilfs­an­trag ohne Zug-um-Zug-Vor­be­halt ver­ur­teilt, 2.250 € an den Klä­ger zu zah­len. Dabei hat das Beru­fungs­ge­richt ange­nom­men, die Beklag­te sei dem Grun­de nach gemäß §§ 826, 31 BGB zum Scha­dens­er­satz in Form der Rück­gän­gig­ma­chung des Kauf­ver­trags über das Fahr­zeug ver­pflich­tet. Die­ser Anspruch sei jedoch ver­jährt. Die Beklag­te habe aller­dings gemäß §§ 826, 852 Satz 1 BGB den auf Kos­ten des Klä­gers erlang­ten Kauf­preis her­aus­zu­ge­ben, soweit er ihr nach Abzug der Her­stel­lungs­kos­ten und der Händ­ler­mar­ge ver­blie­ben sei. Dass der Klä­ger das Fahr­zeug nicht direkt von der Beklag­ten, son­dern über einen Händ­ler als reimpor­tier­ten EU-Neu­wa­gen erwor­ben habe, schlie­ße die Anwen­dung des § 852 Satz 1 BGB nicht aus. Auch wenn die Beklag­te das Neu­fahr­zeug zunächst in das EU-Aus­land ver­kauft und den Kauf­preis unmit­tel­bar von dem erwer­ben­den Händ­ler erhal­ten habe, habe sie ihn doch bei wirt­schaft­li­cher Betrach­tung nicht auf des­sen Kos­ten, son­dern auf Kos­ten des Klä­gers erlangt. 

Ent­schei­dung des Bundesgerichtshofs 

Die vom Beru­fungs­ge­richt zuge­las­se­ne Revi­si­on der Beklag­ten, mit der sie ihren Antrag auf Zurück­wei­sung der Beru­fung des Klä­gers wei­ter­ver­folgt hat, hat­te eben­so Erfolg wie die Anschluss­re­vi­si­on des Klä­gers, mit der er sei­ne Beru­fungs­an­trä­ge teil­wei­se wei­ter gel­tend gemacht hat. Revi­si­on und Anschluss­re­vi­si­on führ­ten im Umfang des Angriffs der Par­tei­en in der Revi­si­ons­in­stanz zur Auf­he­bung des Beru­fungs­ur­teils und zur Zurück­ver­wei­sung der Sache an das Berufungsgericht. 

Dabei hielt die Annah­me des Beru­fungs­ge­richts, der Anspruch aus §§ 826, 31 BGB sei ver­jährt, einer revi­si­ons­recht­li­chen Über­prü­fung stand. Die vom Beru­fungs­ge­richt getrof­fe­nen Fest­stel­lun­gen reich­ten aber nicht aus, um einen Anspruch des Klä­gers aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB zu bejahen. 

Wie der Bun­des­ge­richts­hof nach Erlass des Beru­fungs­ur­teils am 21. März 2022 (VIa ZR 275/21, WM 2022, 745) für den Erwerb von Neu­wa­gen über einen Händ­ler ohne Bezug zum EU-Aus­land bereits ent­schie­den hat, hängt die Fra­ge, ob der Erwer­ber nach Ver­jäh­rung des Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB einen Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB gel­tend machen kann, von den vom Tat­rich­ter fest­zu­stel­len­den Umstän­den des Ein­zel­falls ab. Liegt danach dem Neu­wa­gen­kauf eines nach § 826 BGB durch den Fahr­zeug­her­stel­ler Geschä­dig­ten bei einem Händ­ler die Bestel­lung des bereit­zu­stel­len­den Fahr­zeugs durch den Händ­ler bei dem Fahr­zeug­her­stel­ler zugrun­de und schlie­ßen der Fahr­zeug­her­stel­ler und der Händ­ler einen Kauf­ver­trag über das Fahr­zeug, auf­grund des­sen der Fahr­zeug­her­stel­ler gegen den Händ­ler einen Anspruch auf Zah­lung des Händ­ler­ein­kaufs­prei­ses erlangt, ist dem Grun­de nach ein Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB gege­ben, weil der scha­dens­aus­lö­sen­de Ver­trags­schluss zwi­schen dem Geschä­dig­ten und dem Händ­ler einer­seits und der Erwerb des Anspruchs auf Zah­lung des Händ­ler­ein­kaufs­prei­ses bzw. der Erwerb des Händ­ler­ein­kaufs­prei­ses durch den Fahr­zeug­her­stel­ler ande­rer­seits auf der­sel­ben, wenn auch mit­tel­ba­ren Ver­mö­gens­ver­schie­bung beru­hen. Hat der Händ­ler dage­gen das streit­ge­gen­ständ­li­che Fahr­zeug unab­hän­gig von einer Bestel­lung des Geschä­dig­ten vor dem Wei­ter­ver­kauf auf eige­ne Kos­ten und eige­nes Absatz­ri­si­ko erwor­ben, fehlt es an dem für §§ 826, 852 Satz 1 BGB erfor­der­li­chen Zurech­nungs­zu­sam­men­hang. Nach Ver­jäh­rung des Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB besteht dann auch kein Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB

Mit der heu­ti­gen Ent­schei­dung hat der Bun­des­ge­richts­hof klar­ge­stellt, dass die­se Grund­sät­ze auch für den Erwerb im Wege des EU-Reimports gel­ten. Die Betei­li­gung eines wei­te­ren, im EU-Aus­land ansäs­si­gen Zwi­schen­händ­lers neben dem inlän­di­schen Händ­ler und Ver­käu­fer schließt eine Ver­mö­gens­ver­schie­bung vom geschä­dig­ten Erwer­ber zum Her­stel­ler eines vom soge­nann­ten Abgas­skan­dal betrof­fe­nen Die­sel­fahr­zeugs im Sin­ne von §§ 826, 852 Satz 1 BGB nicht aus. Erfor­der­lich ist jedoch auch hier, dass der Fahr­zeug­er­werb durch den geschä­dig­ten Erwer­ber zu einem kor­re­spon­die­ren­den Ver­mö­gens­zu­wachs beim Her­stel­ler geführt hat. Das ist nur dann der Fall, wenn weder der inlän­di­sche Händ­ler noch der aus­län­di­sche Zwi­schen­händ­ler das Fahr­zeug zuvor unab­hän­gig von der Bestel­lung des Geschä­dig­ten auf eige­ne Kos­ten und eige­nes Absatz­ri­si­ko erwor­ben haben. 

Das Beru­fungs­ge­richt wird nach Zurück­ver­wei­sung der Sache Gele­gen­heit haben, zu die­ser ent­schei­dungs­re­le­van­ten Fra­ge wei­te­re Fest­stel­lun­gen zu tref­fen. Soll­te es zu dem Ergeb­nis gelan­gen, dem Klä­ger ste­he dem Grun­de nach ein Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB zu, wird es bei der Bemes­sung der Höhe des Anspruchs die Ent­schei­dun­gen des Bun­des­ge­richts­hofs vom 21. Febru­ar 2022 (VIa ZR 8/21, WM 2022, 731, zur Ver­öf­fent­li­chung bestimmt in BGHZ, und VIa ZR 57/21, WM 2022, 742) zu beach­ten haben. 

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/recht…