(Kiel) Schnee und Glatteis sorgen Jahr für Jahr im Winter für zahlreiche Unfälle. Häufig streiten sich die Beteiligten hiernach vor Gericht über die Verantwortlichkeiten des Schnee- und Eisräumens, über Streupflichten und deren Vernachlässigung und über die Folgen.

Eine schöne Ãœbersicht darüber, wer wann und wofür zuständig ist und haftet, so der Kieler Rechtsanwalt Jens Klarmann, Präsident des VdVKA – Verband deutscher VerkehrsrechtsAnwälte e. V. mit Sitz in Kiel, hat nun das Landgericht Bautzen am 21.01.2010 veröffentlicht.

Danach gilt folgendes in erster Linie für das Bundesland Sachsen, was in aber auch in allen anderen Bundesländern ähnlich geregelt sei, so Klarmann:

Die Pflicht der öffentlichen Hand (Städte und Gemeinden), Straßen bei Eis und Schnee zu räumen und zu bestreuen, wurzelt zum einen in der Pflicht zur  »polizeimäßigen Reinigung« und zum anderen in der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht. Beide Pflichten sind von ihrer rechtlichen Quelle nicht identisch und bilden selbständige, von einander unabhängige Rechtstatbestände.

In Sachsen bildet für die polizeimäßige Reinigung § 51 Straßengesetz die zentrale Norm. Danach obliegt den Gemeinden die Pflicht die öffentlichen Straßen innerhalb geschlossener Ortslagen zu reinigen. Zur Reinigungspflicht  gehört auch die Verpflichtung, die Gehwege und Überwege für Fußgänger vom Schnee zu räumen und bei Schnee- und Eisglätte zu streuen. Ein Verstoß gegen diese Pflicht führt zur Amtshaftung, da es sich um eine originär hoheitliche Pflicht handelt.

Soweit die Räum- und Streupflicht Bestandteil der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht ist, hat sie ihre Grundlage in § 823 Bürgerliches Gesetzbuch. § 10 Abs 1 Sächsisches Straßengesetz erhebt diese Pflicht jedoch zu einer hoheitlichen Pflicht, sodass bei Verletzungen dieser Pflicht wiederum Ansprüche aus Amtshaftung hergeleitet werden können (§ 839 Bürgerliches Gesetzbuch i.V.m. Artikel 34 S 1 Grundgesetz).

Die Gemeinden haben jedoch gemäß § 51 Abs. 5 Sächs. Straßengesetz die Möglichkeit, teilweise ihre diesbezüglichen Verpflichtungen durch Satzung auf die Eigentümer oder Besitzer der erschlossenen Grundstücke zu übertragen. Dies betrifft jedoch hinsichtlich des Winterdienstes nur die Verpflichtungen für Gehwege und Überwege.

In Sachsen haben von dieser Entlastungsmöglichkeit soweit bekannt alle Gemeinden Gebrauch gemacht. Bsp. Bautzen durch die Satzung der Stadt Bautzen über die Verpflichtung der Straßenanlieger zum Schneeräumen, Bestreuen und Reinigen der Gehwege im Stadtgebiet Bautzen (Straßenanliegersatzung)  vom 27. Okt. 1999
(Amtsblatt der Stadt Bautzen Jg. 9 Nr. 30 vom 12.11.1999). Die Satzung kann auch über das Internetportal der Stadt Bautzen unter den Stichworten »Bürgerservice« und  »Ortsrecht« aufgerufen werden.

Die Räum- und Streupflichten sind dort im Einzelnen näher ausgestaltet.
Nach § 6 der Satzung müssen beispielsweise die Gehwege so geräumt und gestreut werden, dass sie werktags 7.00 Uhr bis 20.00 Uhr sowie Sonn- und Feiertags 9.00 Uhr bis 20.00 Uhr in einem ausreichend verkehrssicheren Zustand sind.

Vermieter wiederum können zivilrechtlich die sie treffenden Verpflichtungen an Mieter übertragen, wenn dies ausdrücklich im Mietvertrag vereinbart wurde.

Trotz Übertragung sind die Gemeinden nicht aus ihrer Haftung entlassen, vielmehr verengt sie sich nur auf eine Überwachungspflicht. Sie haben die Einhaltung zu überwachen und ggf. mit Ordnungsmittel durchzusetzen (vgl. BGH 118, 368, 373; OLG Dresden, Urteil vom 29.03.2000, Az: 6 U 230/00). Es droht also immer noch eine Haftung aus Verletzung der Überwachungspflicht, weshalb eine Dokumentation zur Haftungsabwehr sich aufdrängt für die Gemeinden.

Die Überwachungspflicht trifft auch den Vermieter gegenüber dem Mieter.

Es sind also verschiedene Anspruchsgegner denkbar. Nicht immer ist die Rechtslage einfach zu durchschauen.

Zur Ausgestaltung der Räum- und Streupflichten im Einzelnen betreffend Fahrzeugverkehr, Radwege, Gehwege, Gehbahnen, Fußgängerzonen, Fußgängerüberwege und Parkplätze mit Rechtsprechungsbeispielen:

  • Fahrzeugverkehr

Grundsätzlich gilt, dass sich der Fahrzeugverkehr den gegebenen winterlichen Verhältnissen anpassen muss. Für den Straßenverkehr innerhalb geschlossener Ortschaften ist seit langem anerkannt, das die Fahrbahnen der Straßen nur an verkehrswichtigen und gefährlichen Stellen bei Glätte zu bestreuen sind.
( BGH, Urt. v. 05.07.1990, AZ.: III ZR 217/89).

Verkehrswichtig sind vor allem Durchgangsstraßen und viel befahrene Hauptverkehrsstraßen, nicht z.B. Schleichwege.

Gefährlich sind solche Stellen, die wegen ihrer eigentümlichen Anlage oder bestimmter Umstände, die nicht oder nicht ohne weiteres erkennbar sind, die Möglichkeit eines Unfalls auch für den Fall nahe legen, dass der Verkehrsteilnehmer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet (scharfe, unübersichtliche Kurven, Gefällestrecken, Straßenkreuzungen und Einmündungen). 

  • Radwege

Für Radwege bestehen keine besonderen Räum- und Streupflichten, die über die Anforderungen wegen des allgemeinen Fahrverkehrs hinausgehen (OLG Celle 9. Zivilsenat, Urt. v. 22.11.2000, AZ.: 9 U 104/00).

Bei gemeinsamen Rad- und Fußgängerwegen gelten die strengeren Anforderungen der für die Fußgänger geltenden Verkehrssicherungspflichten. Es ist also allein auf die Belange der Fußgänger abzustellen (BGH, Urt. v. 09.10.2003 AZ.: III ZR 8/03).

  • Gehwege

Innerhalb geschlossener Ortschaften müssen Gehwege geräumt und gestreut werden, sofern kein unbedeutender Verkehr stattfindet. Durch Schneeräumen und Bestreuen mit abstumpfenden Mitteln sind die Gefahren zu beseitigen, die infolge winterlicher Glätte für den Verkehrsteilnehmer bei zweckgerechter Wegebenutzung trotz Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bestehen (OLG Dresden, Urt. v. 02.04.1997. AZ.: 6 U 2908/96).

Dies gilt nicht für Park- oder Grünanlagewege- hier grds. keine Streupflicht (OLG Dresden, Urt. v. 14.07.1999, AZ.: 6 U 1200/99).

  • Gehbahnen

Soweit kein baulich von der Fahrbahn abgegrenzter, separater Bürgersteig vorhanden ist, muss nach herrschender Rechtsprechung für den Fußgängerverkehr ein ausreichender, bis 1,50 m breiter Seitenstreifen auf der Fahrbahn abgestreut werden (BGH, Urt. v. 01,10,1959, AZ.: III ZR 59/58).

  • Fußgängerzonen

In Fußgängerzonen muss nur ein ausreichend breiter Streifen im Mittelbereich geräumt und bestreut werden (BGH Urt. v. 26.04.1990, AZ.: III ZR 136/88). Im Übrigen werden die Anlieger vor den Häusern selbst räumen müssen.

  • Parkplätze

Zu Räum- und Streupflichten auf Parkplätzen hat der BGH entschieden, dass Verkehrsteilnehmer, die ihre Fahrzeuge auf belebten, öffentlichen Parkplätzen abgestellt hatten, bei winterlicher Glätte, wenn sie den Platz nicht nur wenige Schritte zu begehen Hätten, jedenfalls eine Möglichkeit zum gefahrlosen Verlassen des Platzes oder zum gefahrlosen Erreichen der Wagen haben müssten (BGH, Urt. v. 20.12.1990, AZ.: III ZR 21/90).

  • Haltestellen und Bahnhofsbereiche

Diese Stellen sind besonders zu sichern. Hier werden hohe Anforderungen an die Verkehrssicherungspflichten gestellt (BGH, Urt. v. 01.07.1993, AZ.: III ZR 88/92 ).

  • Räum- und Streuzeiten

Allgemein gilt, dass die dargestellten Pflichten werktags bis 7.00 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen bis 9.00 Uhr erfüllt werden müssen und über den Tag jeweils bis 20.00 Uhr bestehen bleiben, solange eine Verkehrssicherungspflicht besteht.

Die Darstellung erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Sie soll lediglich Verantwortliche und deren Pflichten in Kürze umreißen, belegt durch Rechtsprechung von grundsätzlicher Bedeutung.

Klarmann empfahl, dies zu beachten und ggfs. rechtlichen Rat in Anspruch zu nehmen, wobei er dabei u. a. auch auf den VdVKA – Verband deutscher Verkehrsrechtsanwälte e. V. – www.vdvka.de – verwies. 

Für Rückfragen steht Ihnen zur Verfügung:

Jens Klarmann
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Präsident und geschäftsführendes Vorstandsmitglied des
VdVKA – Verband Deutscher Verkehrsrechtsanwälte e. V.  
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